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Medien: Cannes-Rolle: Sie zaubern auch in der Werbung

Zwei Männer stehen dicht gedrängt wie die Dosensardinen in einem völlig überfüllten Bus. Plötzlich fällt der Blick des einen auf den Kragen des anderen: wie Schnee liegen dort die Schuppen.

Zwei Männer stehen dicht gedrängt wie die Dosensardinen in einem völlig überfüllten Bus. Plötzlich fällt der Blick des einen auf den Kragen des anderen: wie Schnee liegen dort die Schuppen. Blitzschnell beugt sich der Mann nach vorne, und schnupft die Schuppen vom Rücken des anderen. Dazu eine Stimme aus dem Off: "Kokain macht süchtig. Sehr süchtig".

Der beeindruckende Spot einer südamerikanischen Anti-Drogenkampagne war den Juroren des Werbewettbewerbs in Cannes in diesem Jahr eine Auszeichnung, den so genannten Goldenen Löwen, wert.

6000 TV- und Kinospots sichtete die Jury beim "International Advertising Festival" im Juni. Die besten Beiträge waren am Donnerstagabend in der Berliner Universal Hall zu sehen. Die knapp zweistündige Cannes-Rolle, der Zusammenschnitt der ausgezeichneten Kampagnen, hat unter den so genannten "Kreativen" Kultstatus, weil sie vorführt, wie weltweit geworben wird.

Ein bisschen enttäuscht zeigt sich Florian Weischer, dessen Agentur für Kinowerbung die Cannes-Rolle in fünf deutschen Städten voraufführt, vom Abschneiden der Deutschen. Bei den Olympischen Spielen sei der Nationenvergleich abgeschafft, sagte der Werbefachmann in seinen Einleitungsworten, beim Festival in Cannes aber gäbe es dieses Ranking nach Medaillen noch: "Deutschland liegt in der Nationenwertung irgendwo hinter Singapur."

Deutschlands Werber gelten weltweit nicht gerade als Superkreativlinge. Nur zwei bundesdeutsche Spots wurden in Cannes ausgezeichnet. Beide bewerben deutsche Automarken, wofür der eine genau sieben Sekunden braucht und kein Auto zeigt: statt dessen fährt ein Skispringer die Rampe herunter. Am Ende hebt er nicht in die Lüfte ab, sondern fährt pfeilschnell weiter. Den Deutschen, sagt Volker Schrader, der diesen Kinospot entwickelt hat, fehle oft noch das inspirierende Moment: "Das Vertrauen darauf, dass der Zuschauer mitdenkt, ist oft nicht vorhanden. Da wird aus Sicherheitsgründen dann alles haarklein erklärt, und der Freiraum für die Betrachter wird zu klein." Aber grundsätzlich, sagt der Werber aus Frankfurt, sei die deutsche Werbung besser als ihr Ruf. Auch wenn das die Juroren in Cannes bisher noch nicht wirklich mitbekommen haben dürften.

Die Shooting-Stars der Werbeszene, das machte das Festival in Cannes ungewohnt deutlich, sitzen im Moment auf einem Kontintent, wo man sie nicht unbedingt vermuten würde: in Südamerika. Die Spots aus Brasilien und Argentinien gelten als ungemein witzig und kreativ, vor allem, weil sie mit wenig Worten auskommen. Alles funktiniert über schnelle, einprägsame Bilder - im Fernsehen wie in den gedruckten Medien. Der Hintergrund dafür ist die hohe Analphabetenrate in Südamerika. Denn auch Menschen, die nicht lesen können, haben das Geld, um Produkte zu kaufen, und sind deswegen für die Werbewirtschaft nicht minder interessant. An sie kommt man aber nur mit visuellen Botschaften ran. Und mit Witz. Nicht von ungefähr kommt deshalb die erfolgreichste Agentur des Jahres aus Brasilien. Almap/BBDO aus Sao Paolo räumte gleich viermal Gold, je zweimal Silber und Bronze ab und bekam 17 weitere Empfehlungen. Der beste Spot des Jahres stammte allerdings aus den USA und wirbt für die Biermarke "Budweiser": Darin telefonieren junge Männer am Sonntagnachmittag: "Und was ist los bei dir? - Nix, gucke Sport und trinke ein Bud". Und bei jedem Telefonat wird aus der Frage "Whassup" (was ist los?) ein lauteres, fröhlicheres Gebrüll. Gute Werbung, sagen Fachleute, sieht am besten so aus, als käme sie direkt aus dem Bauch. Bei "Bud" passte das gleich doppelt: Werbung aus dem Bauch für den Bauch.

"Werbung, die in Cannes erfolgreich sein will, muss sehr schnell auf den Punkt kommen. Die Juroren haben drei Sekunden Zeit, über einen Spot zu entscheiden", sagt Weischer. Drei Sekunden sind in der Werbewelt, in der Kaufentscheidungen in Sekundenbruchteilen beeinflusst werden sollen, eine Ewigkeit. Immer schneller, immer stärker konzentriert auf eine Idee - das ist laut Weischer der Trend. "Aufwendige Lifestyle-Werbung macht man nicht mehr. Ich nenne das den Tod der Seifenoper." Die Bilderflut ist abgeebbt, ein neuer Purismus greift um sich. Durchkomponierte Bilder, die nicht nach Inszenierung aussehen, sind im Kommen. Selbst in der schönen Werbewelt wackeln jetzt Handkameras, statt perfekt fotografierter Technik wird hochprofessionell der Charme von Heimvideos vorgeführt.

Nicht nur TV- und Kinospots sichtet das Festival von Cannes, sondern auch Anzeigen und Plakate; insgesamt 9000 in diesem Jahr. So gingen am Donnerstagabend ein silberner und ein bronzener Löwe auch nach Berlin, beide an die Agentur Scholz & Friends. Der eine wurde für die "Kluge Köpfe"-Kampagne im Auftrag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vergeben, der andere für eine Schuhwerbung, bei der man von oben auf Männerköpfe schaut. Beide funktionieren auf der neuerdings erforderlichen Meta-Ebene und fordern die Konsumenten zum Nachdenken heraus.

Mit der Boombranche E-Commerce allerdings sind die deutschen Kreativen noch nicht so recht zufrieden. Die Hoffnungen, die die Werber in die vielen neuen Dotcom-Firmen gesteckt hätten, hätten sich bislang nicht erfüllt, mahnte Florian Weischer. Das Abschneiden im Wettbewerb sei enttäuschend. So ein neuer Markt, und so altbackene Werbung.

Tina Heidborn

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