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ARD-Film: Das ganze Leid in 88 Minuten

Als ein Junge seine Spielgefährtin tötet, zerbricht in „Uns trennt das Leben“ das Glück mehrerer Familien. Eine spannende Geschichte, doch setzt der ARD-Film auf zu viel Anspruch in zu wenig Zeit.

Erfahrene Fernsehzuschauer wissen es längst. Wird in den ersten Filmminuten ein Familienidyll präsentiert, gilt es auf der Hut zu sein. Je größer das anfängliche Glück, desto schlimmer der spätere Absturz, lautet die dramaturgische Formel. Genau aus diesem Grund machen die Eingangsszenen des Films „Uns trennt das Leben“, den die ARD am Mittwochabend zeigt, richtig Angst: Es ist ein schöner Morgen in einer schönen Wohnung, durch die hellen, lichten Räume kullert ein Kinderlachen. Der Vater rasiert sich, die kleine Tochter assistiert ihm dabei, die Mutter brüht derweil den Kaffee auf. Gleich wollen sie los zu einer Hochzeitsfeier im Grünen, und weil so viel Glück im Film bestraft gehört, liegt das Mädchen einige Filmszenen später tot im Wald.

„Uns trennt das Leben“ handelt vom Schrecklichsten, was einer Familie zustoßen kann – dem Tod eines Kindes. Das könnte erzählerische Herausforderung genug sein. Autor und Regisseur Alexander Dierbach (die Kamera führt Ian Blumers) hat sich noch mehr vorgenommen: Statt die Eltern des toten Kindes in den Fokus zu nehmen, hat sich Dierbach für eine Panoramaaufnahme von drei Familien entschieden, deren Leben durch diese Tragödie miteinander in Berührung kommt.

Schuld an Tines Tod ist der achtjährige David (Jannik Brengel). Er ist auf der Hochzeit mit ihr im Wald verschwunden und hat dort einen schweren Stein nach ihr geworfen. Nach der Tat wird David in eine geschlossene psychiatrische Klinik gebracht. Seine tief erschütterte Mutter (Anneke Kim Sarnau) kommt ihn besuchen, doch dreht sie sich noch vor seiner Zimmertür wieder um und fährt zurück nach Hause. Sie bringt es nicht über sich, David zu sehen; auch sie hat ihr Kind in gewisser Weise verloren. Davids Bezugsperson wird die Psychologin Nora (Julia Koschitz). Sie soll herausfinden, warum er den verhängnisvollen Stein geworfen hat. War es ein Spiel, war es ein Unfall, oder war es Mord? Professionelle Distanz zu wahren, fällt Nora schwer. Sie ist schwanger, und je länger sie sich mit David beschäftigt, desto dringlicher stellen sich ihr quälende Fragen: Meist kreisen elterliche Ängste vor allem darum, was man tun kann, damit das Kind nicht zum Opfer wird. Aber wie kann man vermeiden, dass es zum Täter wird? Und wenn es zu einem wird, ist das nicht in Wahrheit das Schrecklichste, was einer Familie zustoßen kann?

Fragen, die bewegen, jede einzelne für sich genommen. Aber Dierbach platziert sie in seinem Film so dicht hintereinander, dass sie überhaupt keinen Resonanzraum haben um zu schwingen. Schließlich muss der Regisseur gleich drei Geschichten auf einmal bedienen: Da sind die Eltern, die ihr Kind verloren haben. Da ist die Mutter, die fürchten muss, dass ihr Sohn gemordet hat. Und die Psychologin fragt sich zunehmend, ob man überhaupt Kinder bekommen soll, wenn man sie weder vor dem Opfer- noch vor dem Tätersein schützen kann. Bei so viel Erzählmaterial muss man notgedrungen Verkürzungen vornehmen, und leider entstehen dabei Klischeebilder: Um die Trauer von Tines Eltern (gespielt von Jasmin Schwiers und Tim Bergmann) zu zeigen, schickt der Regisseur sie zum Beispiel ins Bestattungsinstitut, wo der Mitarbeiter umgehend beginnt, über Kindersärge zu referieren. Eine Szene, die man so schon etliche Male gesehen hat. Damit ein Filmemacher ungewöhnliche Bilder finden kann, die trotzdem glaubwürdig sind, muss der Zuschauer die Figuren gut kennen, und das ist bei „Uns trennt das Leben“ aufgrund der Vielzahl der Protagonisten nicht möglich.

Problematisch ist auch, dass in Dierbachs Film Familienentwürfe insgesamt auf Klischees reduziert werden. Die heile Vater-Mutter-Kind-Konstellation bringt ein glückliches Kind hervor, auch wenn es dann sterben muss. Die alleinerziehende Mutter dagegen ist überfordert mit ihrem Sohn. Und die junge Psychologin, die ganz und gar in ihrer Arbeit aufgeht, überlegt, abzutreiben und sich stattdessen auf ihren Beruf zu konzentrieren.

Besonders erstaunlich ist, dass ein Film, den ein junger Regisseur im 21. Jahrhundert gedreht hat, Väter nur als Randerscheinungen des Familienlebens zeigt. Sie kommen zwar vor, aber wenn man ehrlich ist, geht es nicht um sie. Die Hauptfiguren sind die Mütter, ganz so, als sei Familie eben Frauensache.

Eine dieser Frauen spielt aber so herausragend, dass man sich freut, wann immer sie auftaucht. Anneke Kim Sarnau ist als Davids Mutter eine Frau, die viel mit sich selbst ausmacht und wenig sagt. Das könnte ein wenig langweilig sein, doch Sarnau kann selbst einem stummen Blick die unterschiedlichsten Nuancen verleihen, kann Verzweiflung, Entschlossenheit und am Ende auch Hoffnung in ihn hineinlegen.

Vielleicht hätte Dierbach gut daran getan, sich ganz auf ihre Person und ihr Schicksal zu konzentrieren. Sein Film hat nämlich nur 88 Minuten – zu wenig für drei so ambitionierte Geschichten. Und das ist ausnahmsweise mal keine dramaturgische Regel, sondern Ergebnis einer einfachen Rechenoperation.

„Uns trennt das Leben“, 20 Uhr 15, ARD

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