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Sehnsucht, Habsucht. In „Heimkehr“, der Verfilmung des Hermann-Hesse-Romans, begehrt der Bürgermeister (Herbert Knaup) eine andere Frau mehr als seine eigene. Foto: ARD

© SWR/Markus Fenchel

Porträt: Der Ich-Verstärker

Eichmann, jüngst „Kluftinger“, jetzt Hermann Hesse: Herbert Knaup spielt den Menschen im Guten wie im Bösen. Begonnen hat es mit Straßenmusik.

Vor kurzem hat Herbert Knaup eine Einladung aus Sonthofen erhalten. Das Gymnasium seiner Heimatstadt feierte 75. Jubiläum und wollte ihn als Ehrenschüler begrüßen. Herbert Knaup hat lange überlegt, Freunde angerufen, und dann abgesagt. „Ich gehe da nicht hin“, entschied er, „ich war früher ein schlechter Schüler und habe gelitten, ich bin sitzen geblieben. Der Turnlehrer hat mit Füßen nach mir getreten, das war nicht unbedingt eine schöne Zeit. Warum soll ich mit 56 also noch einmal dorthin zurückgehen?“

„Die Heimkehr“ heißt der Film, der heute Abend in der ARD zu sehen ist. Er ist die erste deutsche Literaturverfilmung eines Hermann-Hesse-Romans und erzählt die Geschichte von August Staudenmeyer (gespielt von August Zirner), der nach 30 Jahren Weltreise als reicher Mann in seinen Heimatort Gerbersau zurückkehrt. Die Einwohner buhlen um seine Gunst und Gesellschaft. Als sie aber merken, dass er sich nicht, wie alle anderen sonst im Ort, anpassen will, gerät Staudenmeyer schnell ins Abseits.

„Heimat liegt nicht immer da, wo man herkommt“, meint Herbert Knaup. „Sie ist am schönsten, wenn man sie in sich selbst gefunden hat. Das ist auch das, was Hesse sagt: Wenn du die Heimat in dir selbst gefunden hast, bist du angekommen.“ Herbert Knaup spielt den Bürgermeister von Gerbersau, eine stattliche, noble Person, die für Ordnung und Ruhe sorgt, seine eigenen Sehnsüchte jedoch nicht zu zügeln vermag. Die Liebe zu seiner Frau bröckelt, die Zuneigung zu einer anderen wird verschmäht. Kraft seines Amts beginnt er Druck auf die Angebetete auszuüben. „Das ist damals so wie heute“, sagt Knaup, „wenn der Mann von einer Frau zurückgestoßen wird, wird er zum Ekel und gemein, vielleicht hinterhältig.“

Herbert Knaup wohnt seit zehn Jahren in Berlin. An einem sonnigen Wochenende erscheint der Schauspieler zum Interview wie zu einem großen Auftritt: Hemd, Weste, Jackett, schwarz umrandete Brille. Eine imposante Erscheinung von 1,90 Metern. Seine Filmografie ist so lang, dass man glauben könnte, jeder Deutsche müsse ihn schon mindestens einmal gesehen haben. Er hat Albert Speer gespielt und Adolf Eichmann, Goethe und den Polizeioffizier Ulrich Wegener in „Mogadischu“. Er war Vater, Verleger, Bergsteiger, Politiker, Fotograf.

Seine Figuren sind oftmals die, die hoch hinauswollen und tief fallen. Wie sein Bürgermeister in Gerbersau. Oder der arbeitslose Physiker Kurt Wellinek in dem Kinofilm „Du bist nicht allein“. Weil seine Frau ihn verlassen hat, muss Kurt aus dem gemeinsamen Haus ausziehen und landet in einem Berliner Plattenbau. Dort steht er am liebsten auf dem Balkon oder streift mit hängenden Schultern und einer Plastiktüte durch die Gegend. Je imponierender ein Mensch von seiner Statur erscheint, umso größer ist seine Lächerlichkeit, wenn er versagt. Knaups sonst würdevoll anmutenden Geheimratsecken erzeugten in diesem Film das Mitleid für einen gebeutelten Mann, bei dem die Ebbe auch körperlich Einzug gehalten hat. Für die Rolle wurde er 2008 für den Deutschen Filmpreis nominiert.

Herbert Knaup stammt aus dem Allgäu, geboren wurde er 1956 in Sonthofen, in einem Tal von vier Kilometern Breite. Als jüngstes von vier Kindern wuchs er in einer Arbeitersiedlung mit begrüntem Hinterhof auf. Die räumliche Enge muss eine Explosion des Kreativen hervorgebracht haben. Sein Vater, von Beruf Schlosser, spielte Gitarre. Das musikalische Talent gab er an die Kinder weiter. „Musik war bei uns immer die Rettung, überhaupt Konflikte zu lösen“, erinnert sich Knaup. „Wenn noch gesungen wurde, war alles okay.“ In der Familie wurde viel gestritten. Der Vater war „der stärkste Mann der Straße“, ein Muskelpaket, und auch ein ziemlicher Tyrann, dem immer das letzte Wort zustand.

Herbert Knaup kann viel über seine Kindheit und Jugend erzählen, eine Geschichte nach der anderen rauscht aus ihm heraus, wie ein ICE durch die Landschaft. Mit sieben Jahren nahmen ihn seine älteren Schwestern als „lebendige Puppe“ in Dienst, sie brauchten ihn als Partner für Standardtänze: „Los, Herbert, jetzt mach das mal.“ Er lernte Foxtrott, Tango, Twist und Rock’n’Roll. Als bei einem Freund seiner Schwester ein Feuer ausbrach, schenkte dieser ihm seine angebrannte Plattensammlung und seine Bücher. Während die Nadel wegen der vielen Wellen ständig hüpfte, hörte der 14-Jährige Songs von Led Zeppelin und Jimi Hendrix. Er las Hemingway, Hesse, Heine. „Auch wenn ich vielleicht alles nur halb verstand. Aber das waren für mich die Kinofilme, die vor mir abliefen. Bücher waren meine Heimat.“

Damals begann er Gedichte zu schreiben. Er schreibt auch heute noch, Gedichte, Geschichten, er singt, tanzt, spielt Gitarre und Klavier, inszeniert Theaterstücke. Er will, sagt er, sich künstlerisch nicht nur in einer Schublade bewegen. Und wie als Beweis dafür steht er auf, streicht sich das Jackett glatt und schmettert ein englisches Lied.

Mit 17 lernte er seine erste Freundin kennen, Ellen von Unwerth, die heute als erfolgreiche Fotografin in Paris lebt. Mit ihr zog er aus Sonthofen fort, zuerst in eine Wohngemeinschaft, dann in die Welt. Ihr Geld verdienten sie auf der Straße, bevorzugt mit dem „Meerschweinchenspiel“. Dafür stellten sie zwölf Pappkartons auf und verkauften jeweils einen für 50 Pfennige. Dann ließen sie das Meerschwein laufen. Gelangte es in Karton vier, gewann der Mitspieler, der diese Nummer gezogen hatte, drei Mark. Sie selber nahmen bei jedem Spiel genauso viel ein. In London boten sie in der Nähe eines Blumenmarktes bereits entsorgte Sträuße für „five pence a bunch“ an. Dazu machte Herbert Knaup Straßenmusik. Er hat viele Wege im Leben und zum Überleben ausprobiert. Daraus hat er ein Prinzip gemacht: ausloten, was in einem steckt.

In der Schauspielerei sah er diese Chance. Ihn reizte die Aussicht, den Menschen in all seinen Möglichkeiten zu zeigen: fies, nett, lebendig, leidenschaftlich, hinterhältig. Die Menschheit, sagt Knaup, sei fast wie ein großes Kasperletheater: Es gibt den Polizisten, den Teufel, den Räuber, Gretel, die Oma, die Prinzessin. In München wurde er sofort für ein Studium angenommen. Seit 35 Jahren ist er jetzt Schauspieler. Sich zu verstärken in einem Charakter, der man immer auch selbst sein kann, darin sieht er den Auftrag seines Berufs.

Vor drei Jahren spielte er erstmals den Allgäuer Kommissar Kluftinger in der gleichnamigen ARD-Krimireihe, ein Eigenbrötler, wortkarg und schlicht in seinem Gemüt. Für die Rolle hatte er zehn Kilo zugenommen, er wollte die Behäbigkeit des Kommissars spüren. Für Knaup ist der „Kluftinger“ ein Heimspiel, ein Heimatspiel. „Wenn man zurückkehrt“, sagt Herbert Knaup, „dann fühlt man sich wie so ein Lachs, der nach Hause schwimmt. Man denkt: Mensch, hier habe ich so eine lange Zeit verbracht. Die ganzen Erfahrungen, die man als Kind macht, brennen sich für den weiteren Lebensweg ein.“ Zur Premiere von „Milchgeld“, dem jüngsten Kluftinger-Krimi, kam auch seine Mutter nach München. Sie ist 92 Jahre alt und, wie Knaup meint, „fit wie ein Turnschuh“. Er bewundert ihre Einstellung, das Leben zu lieben und zu genießen. Von ihr hat er gelernt, dass man dankbar dafür sein soll, auf dieser Erde zu sein. Und dass man im Jetzt handeln soll, weil sich die Dinge nicht verschieben lassen.

„Die Heimkehr“, Mittwoch, 20 Uhr 15, ARD

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