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Medien: Der Panther

Oliver Kahn stellt Fragen und liest Rilke – ein 3sat-Porträt des Torhüters

Oliver Kahn hat lange gesucht, aber er hat kein Buch gefunden. Es gibt viele Ratgeber dafür, wie man nach oben kommt. Aber nirgendwo steht erklärt, was zu tun ist, wenn man es geschafft hat. Vielleicht lohnt sich die Auflage wegen der zu kleinen Zielgruppe nicht, oder es gibt keine einfachen Antworten. Kahn war ganz oben, er hat viele Jahre lang alles dafür getan, all seine großen Ziele zu erreichen. Und jetzt? Der Dokumentarfilmer Marin Martschewski hat den ehemaligen Titan in den vergangenen Jahren mehrfach getroffen und dabei vor allem zu seinem Ehrgeiz befragt. Der ehedem beste Torhüter der Welt antwortet selten direkt, er zählt stattdessen die vielen Fragen auf, die ihn ständig umtreiben. Deshalb lernt man Oliver Kahn in diesem Film gut kennen. Zumindest besser, als wenn er Antworten parat hätte.

Jeder kennt den Kahn, der im Finale der Champions League drei Elfmeter hält, der beste Spieler der WM 2002 ist und auch von den Fans, die ihn nicht mögen, Respekt erhält. Und den, der danach in wichtigen Spielen Fehler macht und mit seinem Privatleben den Boulevard unterhält. Wie sehr diese Zeit das nationale Kulturgut Kahn verändert hat, wird deutlich, als er erzählt, dass statt seines ewigen Mottos „Niemals aufgeben“ plötzlich auch der Gedanke an das Gegenteil für ihn reizvoll wurde. Weil ja auch das schwierig sei. In seinem bemerkenswertesten Satz sagt Kahn, dass er noch nie echte Freiheit erlebt habe. Sein Lieblingsfilm heißt „Papillon“, jenes Drama aus den 70er Jahren mit Steve McQueen, das auf einer Gefängnisinsel spielt. Kahn guckt ihn ein- bis zweimal pro Jahr, weil ihn fasziniert, dass McQueen unschuldig zu lebenslanger Haft verurteilt ist, sein Willen aber nicht zu brechen ist.

Auch Oliver Kahn ist verurteilt. Zur Einsamkeit des tragischen Helden, der zu einer Autogrammstunde zu einem Fan-Club fährt, aber nicht ein einziges Mal lächelt. Über den jeder der befragten Fans eine bedeutungsschwere, dezidierte Meinung hat. Der alleine im Garten seines Hauses mit dem Golfschläger übt. Drinnen stehen seine Pokale in einem wenig geschmackvollen Regal, überhaupt wirkt das Haus von Kahn irgendwie leer. Er sitzt verkniffen auf seiner Terrasse, als ob er nichts mit sich anzufangen weiß.

Das letzte Gespräch ist aus dem Januar dieses Jahres, in einem Café. Der 36-Jährige redet davon, dass er seine Konkurrenten nicht mehr zu Feinden hochstilisieren will. Gemeint ist Jens Lehmann, mit dem er sich zu diesem Zeitpunkt noch um den Posten der Nummer eins im Tor bei der WM im eigenen Land streitet. Kahn spricht von Respekt, von positiver statt negativer Kraft. Es wird klar, dass er in seinem Inneren schon weiß, dass Lehmann den Vorzug bekommen wird. Und wie er damit umgehen wird. Wer sich fragt, ob Kahn sich wirklich als Nummer zwei bei der WM ruhig und kollegial verhalten wird, bekommt hier eine sehr wahrscheinliche Antwort. Am Ende liest Oliver Kahn das Gedicht „Der Panther“ von Rilke vor und interpretiert es. Der Panther ist im Käfig eingesperrt. Oliver Kahn in seinem Tor, im Sechzehnmeterraum, in seinem Anspruch an sich selbst, im Druck von außen? Ein bisschen von allem, sagt er. Die Verse „ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht“ gefallen ihm besonders. Oliver Kahn ist nicht ganz oben geblieben. Und er scheint gelernt zu haben, was zu tun ist, wenn man wieder ein Stück heruntergekommen ist. Das erleichtert offensichtlich. Auch wenn es schwer fällt.

„Oliver Kahn und die Dinge des Lebens“, 3sat, 21 Uhr

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