
© ZDF und Richard Hübner
Schlagfertig und wettbewerbshart: Die Animateurin
Nach fast 20 Jahren Trash-Fernsehen geht Sonja Zietlow zum ZDF – und moderiert dort eine Hundeshow.
Stand:
Irgendwas ist anders bei dieser drolligen Show mit Sonja Zietlow, irgendwas stimmt nicht so ganz. Und dabei geht es weder um den Drehort noch um die Sendezeit, geschweige denn um das schlichte Outfit. Unstimmig, außergewöhnlich an Zietlows neuem Rollenspiel ist eher das komische Logo, schräg links überm wasserstoffblondierten Haar der Moderatorin. RTL-Fans denken da womöglich: Was soll denn „ZDF“ bitte heißen – „Zu viel Dröges Feuilleton“, oder was?
Fast.
Es steht für „Zweites Deutsches Fernsehen“, ein öffentlich-rechtlicher, gebührenfinanzierter Fernsehsender. Nicht gerade das natürliche Biotop dieser Privatfernsehikone, aufgewachsen beim nachmittäglichen Trash-Talk, groß geworden im nächtlichen „Dschungelcamp“, also alles andere als endemisch im Rentnerfunk Marke ZDF am Sonntag. Obwohl – immerhin geht es auch hier um Tiere, wenngleich sie nicht durch australische Regenwälder kriechen und gelegentlich verspeist werden, sondern durch deutsche Gärten tollen und für den Verzehr viel zu niedlich sind.
[ „Mein Hund fürs Leben“, ZDF, Sonntag, 14 Uhr 55]
In einer „Mischung aus Haustiervermittlung und ,Herzblatt‘ mit Reportage-Elementen“, wie Sonja Zietlow ihre Datingshow für Zwei- und Vierbeiner umschreibt, wird kein Dschungelkönig gesucht, sondern „Mein Hund fürs Leben“. Sonja Zietlows Pfotenteam castet in drei Haushalten vom schwulen Großstadtpaar bis hin zur frisch verwitweten Rheinländerin ein passendes Exemplar der Art Canis lupus familiaris aus dem Berliner Tierheim. Menschlich betrachtet geht es der Vermittlerin demnach vor allem um eines: „Tierliebe“. Und die ist Sonja Zietlow spürbar ein Herzensanliegen.

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Wenn man der Hundenärrin aus Bonn beim Interview dabei zuhört, alle Rassen aufzuzählen, die sie in knapp der Hälfte ihrer 53 Jahre besessen hat, dann kommt ein ganzes Rudel lebender und toter Lieblinge zusammen. Der Fundus emotional betroffener Blicke, aus dem die Moderatoren solcher Formate schöpfen – bei Sonja Zietlow entspringt er wahrer Überzeugung. Umso mehr fragt man sich, ob das auch für den Wechsel von RTL zum ZDF gilt. Ein Anbieterwechsel, der im Netz flugs die Frage aufwarf, ob 2022 mit „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ Schluss sein könnte.
„Es ist nicht direkt ein richtiger Wechsel“, kontert die ausgebildete Pilotin Abschiedsgerüchte, „eher eine Erweiterung meines Portfolios.“ Ein Gesamtkunstwerk, das sich zwar sehen lassen kann, aber nicht unbedingt im Feuilleton seriöser Blätter. Bevor sie Mitte der Neunzigerjahre von Quizformaten auf Kabel1 über Clipshows bei RTL2 bis zu den 821 Ausgaben ihres brachialen Sat1-Dailytalks „Sonja“ alle Stationen des kommerziellen Unterhaltungsprogramms durchlief, war sie schließlich als Ferienclubanimateurin und Flugbegleiterin tätig.
Ersteres habe „das nötige Selbstbewusstsein, um souverän vor Publikum aufzutreten“ geschaffen, Letzteres die nötige Multitasking-Tauglichkeit fürs Showbiz. Und ihre Arbeit an der Talkfront des Privatfernsehens, dieses Tiefamt voyeuristischer Publikumsverachtung? So würde sie das natürlich nie nennen, aber es hat ihr fraglos das mit auf den Weg gegeben, was die exzellente Golferin mit dem IQ von 132 „Wettbewerbshärte und Schlagfertigkeit“ nennt. Attribute, die auf beiden Seiten des dualen Systems gefragt sind. Besonders jetzt.
Spätestens nämlich, als der verrentete „Tagesschau“-Sprecher Jan Hofer vergangenen Februar bei RTL vortanzte und sein „Sportschau“-Kollege Matthias Opdenhövel bald darauf zu ProSieben ging, heizte sich der kalte Krieg um die besten Köpfe auf. Mit Laura Dünnwald war zwar schon 2011 eine öffentlich-rechtliche Nachrichtensprecherin zum werbefinanzierten Feind übergelaufen, während sich die Unterhaltungsherren Kernerlanzbeckmannjauch ohnehin überall zu Hause fühlen. Doch weil frühere Spaßsender in Zeiten von Pandemie und Klimawandel auf informationelle Seriosität setzen, erinnern die vielen Arbeitgeberwechsel zurzeit an eine kleine Völkerwanderung.

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Angesichts journalistisch honoriger Namen wie Pinar Atalay und Linda Zervakis wirkt der von Sonja Zietlow da vielleicht ein wenig, nun ja, profan. Originell an dieser Personalie ist aber, dass ihr bisheriges Wirken auf weniger kultiviertes Entertainment ausgerichtet war. Darüber kann sie allerdings nur lachen – und tut es auch. „Weil ich nicht nur einen relativ hohen IQ habe, sondern ziemlich viel Mitgefühl und Schlagfertigkeit“, finde sie die leichtere Kost „halt am reizvollsten“.
Also lacht sie sich vorerst fünf Sonntage für jeweils 45 Minuten durch die Scheinrealität des Kaffee-und-Kuchen-Programms im Zweiten, lobt das größte Tierheim Europas mit den Worten „schön, dass es da ist, allerdings schade, dass wir es brauchen“, darf also auch mal ohne fremdschambefeuerten Zynismus so freundlich sein wie zuletzt wohl vor acht Jahren bei einer Weltrekordshow von RTL2. An der Seite von Micky Beisenherz übrigens, ihrem „Dschungelcamp“-Gagschreiber, der die Kurve ins Feuilleton genommen hat. Mal sehen, was bei der selbstbewusst schlagfertigen, multitaskingtauglich-wettbewerbsharten Sonja geht …
Jan Freitag
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