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Igittigitt-Fernsehen.

© picture-alliance/ dpa

Interview zum Dschungelcamp: „Die Emotion des Ekels erleben“

Das Fernsehen bietet die Gelegenheit, dass man sich mit Ekel aus der Sicherheit des heimischen Sofas befassen kann. Der Medienpsychologe Clemens Schwender über Faszination, Funktion und Frust des RTL-„Dschungelcamps“.

Herr Schwender, freuen Sie sich auf die achte Ausgabe des „Dschungelcamps“, das am Freitagabend bei RTL startet?

RTL ist auf meiner Fernbedienung seit einiger Zeit nicht mehr drauf. Ich weiß natürlich, worüber ich rede: Ich habe diverse Folgen von früheren Staffeln gesehen und vermute, dass sich am Konzept der Reihe nichts ändern wird.

Wer ist eigentlich Versuchsperson von „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“: die Teilnehmer oder die Zuschauer?

Bei den Teilnehmern wird getestet, was sie mit sich machen lassen bis zum Verlust ihrer Würde. Bei den Zuschauern wird getestet, was sie als Programm hinnehmen. Dabei hat es aus Sicht der Zuschauer durchaus wichtige Funktionen.

Darf die große Quote beim „Dschungelcamp“ mit der Sucht nach starken Affekten erklärt werden? Motto: Die Unterstimulierten müssen wieder aufgeregt, ja erregt werden?

Es ist evolutionär sinnvoll, dass sich Menschen mit Gefahren beschäftigen. Im Falle von Ekel sollten wir wissen, was uns krank macht und wie wir mit Krankmachendem umgehen müssen. Was ist zu vermeiden und was kann man überstehen? Welchen Mut, welchen Durchhaltewillen braucht es, um sich in diese Gefahr zu begeben, ohne darin umzukommen? Das Gefühl, das diese Gefahren begleitet, ist der Ekel. Das Fernsehen bietet die Gelegenheit, dass man sich mit Ekel aus der Sicherheit des heimischen Sofas befassen kann.

Distanz schafft Sicherheit.

Der Abstand ist auf mehrfache Weise hergestellt: Zum einen spielt die Szenerie in einem exotischen Dschungel, und wir müssen keine Angst haben, dass uns die Dinge beim nächsten Ausflug in den Wald begegnen. Es sind Prominente, die wir aus anderen Kontexten kennen und von denen wir annehmen, dass sie überleben werden. Und zwischen uns und der Gefahr sind immer noch der Flachbildschirm und der Kameramann. Schließlich nimmt der Gameshow-Charakter, die wie eine Sportveranstaltung mit Sieg und Niederlage endet, der Sendung zusätzlich die Ernsthaftigkeit der Situation. Die Teilnehmer spielen Gefahr.

Und die Zuschauer?

Wir können die Emotion des Ekels erleben, ohne in die Nähe der Gefahr zu gelangen. Wir wenden uns ab, ohne die Gefahr aus dem Auge zu verlieren und machen ein Ekelgesicht: Die Zunge stößt von innen an die Zähne, als wollte der Körper wieder loswerden, was ihm zu nahe gekommen ist. Dieses Nahekommen ist das Thema der Sendung. In einer Welt, die weitgehend sauber und keimfrei gehalten wird, kommt es gar nicht mehr so häufig vor, dass wir in die Nähe von derartigem Gewürm, Geziefer und anderem Getier kommen. Das ändert sich im „Dschungelcamp“, wo die Kamera auch mal dicht herangefahren wird.

Was ist der größte Reizfaktor? Wie sich Quasi-Promis entblöden oder ist es der Ekel vor den Dschungelprüfungen?

Einerseits ist das Ertragen des Anblicks von Ekligem bereits eine Prüfung, in der man Stärke beweisen kann. Andererseits lernen wir, wenn wir denen zuschauen, die sich darin bewähren müssen, wie man sich in der Gefahr verhalten sollte oder eben auch nicht. Deren Überstehen und Scheitern gibt uns Hinweise, falls wir mal in eine ähnliche Situation kommen sollten – so unwahrscheinlich dies auch sein mag.

Ist das Spiel mit der Abscheu für den Zuschauer nicht mindestens so reizvoll wie der Grusel vor dem Horror bei einschlägigen Filmen?

Ja. Beide Genres haben eines gemeinsam: Es geht um Gefahren. Ekel ist ein Gefühl, das wir haben, wenn wir einen Angriff auf unsere Gesundheit erleben, Angst ist eine Emotion, die uns vor einer Gefahr warnt, die sich gegen Leib und Leben richtet.

Was empfinden Sie mit Blick auf die Teilnehmer? Arme Schweine oder ausgebuffte Medienprofis oder Menschen, die zu Recht sagen: Ich bin klamm und brauche das Geld?

Ich schaue mir diese Sendungen nicht mehr an, da ich eine Mischung erlebe aus Fremdscham darüber, was die Menschen mit sich machen lassen und Mitleid über die Verzweiflung, warum sie das offenbar tun. Die Kandidaten haben eine weitere Funktion. Die Zuschauer fühlen sich durch den Abwärtsvergleich besser. Auch jemand, der am unteren Ende der Gesellschaft steht, erlebt eine Aufwertung durch die Sendung: „So schlecht geht es mir gar nicht, wenn ich sehe, wie selbst Prominente still halten, wenn Fäkalien über ihnen ausgekippt werden.“ Zuschauer beobachten andere im Elend, und das ist gut für das eigene Selbstwertempfinden.

Kann ein Kandidat von der Show wirklich profitieren?

Bekanntheit ist in der Medienbranche das wichtigste Gut. Es ist ein Wert an sich. Je mehr man davon hat, desto besser. Immerhin kann man in den anschließenden Talkshows über die Erfahrungen berichten und bleibt so weiter im Gespräch. Und vielleicht eröffnen sie demnächst eine Autohaus-Filiale in Brandenburg.

Durchschauen die Zuschauer die Inszenierung? Selbst die Kommentare von Sonja Zietlow und Daniel Hartwich sind ja vorgeschrieben.

Selbst wenn wir um die Inszenierung wissen, empfinden wir die Gefühle. Die Ekelreaktion ist angeboren.

Muss RTL für die schon achte Ausgabe an der Schraube drehen? Noch gemeinere Prüfungen, noch mehr Häme?

Keine Ahnung. Man wird sicher das eine und andere ausprobieren. Solange es Menschen gibt, denen es schlecht geht, wird es Programme wie diese geben.

Würden Sie sagen, dass das „Dschungelcamp“ ein Spiegel unserer Kultur und Gesellschaft ist?

Es ist kein Spiegel, sondern ein Albtraum. Medien zeigen nicht, was ist, sondern was wichtig ist. Es zeigt Dinge, mit denen sich eine genügend große Zuschauerschaft beschäftigt.

Clemens Schwender ist Professor für Medienpsychologie an der Hochschule der populären Künste in Berlin.

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