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Medien: „Du Armleuchter“

Keine Freundschaft, dafür ein Film: „Spiegel“-Reporter Jürgen Leinemann porträtiert Gerhard Schröder. Ein Interview

Herr Leinemann, Sie kennen Gerhard Schröder seit 30 Jahren. Was war er damals, was ist er heute für ein Mensch?

Damals war er einfach ein frecher junger Mann, der nach oben und Erfolg haben wollte. Erfolg will er immer noch haben, oben ist er.

Nicht mehr.

Doch, doch. Wo er ist, ist immer noch oben. Nicht politisch, aber in der Gesellschaft. Wenn er ins Ausland fährt, wird er noch behandelt wie ein Regierungschef. Dafür ist er losgeworden, was ihn immer genervt hat: Kontrolle. Presse, Partei und Parlament, alle weg.

Die Medien gucken schon noch.

Die gucken, aber die können ihm den Buckel runterrutschen.

Was an Schröder hat sich verändert?

Der ist sehr viel erwachsener geworden, sicherer. Der weiß ziemlich genau, wie es in den Machteliten zugeht und wie man sich dort durchsetzt.

Anders gefragt: Wie schwer fällt Schröder der Verlust seiner politischen Macht?

Ich glaube, der fällt ihm unheimlich schwer.

War sein legendärer Ausbruch in der Elefantenrunde nach der Wahl ein Beispiel von – wie Sie es in ihrem Buch nennen – „Höhenrausch“?

Ja und nein. Es war eine Art Erschöpfungseuphorie. Der war total fertig und total aufgedreht. Müntefering erzählt das im Film sehr eindrucksvoll: Wie die am Samstag noch gedacht haben, es ist alles vorbei und am Sonntag plötzlich gleich- auf waren. Dazu kam, dass er sich tierisch über die Medien, vor allem über das ZDF, geärgert hatte …

… und über den „Spiegel“.

Über den „Spiegel“ hat er sich schon länger geärgert, wie alle Kanzler.

Warum läuft Ihr Film „Gerhard Schröder: Kanzlerjahre“ ausgerechnet am Montag, drei Tage vor dem Erscheinen von Schröders Memoiren? Müssen Sie nicht fürchten, dass Ihr Porträt inmitten der nachfolgenden „Gerd-Show“ völlig untergeht?

Nein, denn es gibt einen Unterschied: Unser Film ist weniger ein Film mit, eher ein Film über Schröder. Wir haben zwar mit ihm geredet – da kam sachlich nicht besonders viel Überraschendes. Wir haben aber auch mit allen möglichen Leuten geredet, die ihn gut kennen; Franz Müntefering vor allem und Joschka Fischer, aber auch Franz Beckenbauer und Wolfgang Schäuble. Bis vor einer Woche liefen noch die Bemühungen um Putin. Der hätte mitgemacht, wäre auch Bush dabei gewesen. Na ja, bei dem haben wir es gar nicht erst probiert.

Kommt Angela Merkel zu Wort?

Frau Merkel hatte mir erst persönlich zugesagt und sich dann anders entschieden.

Mit welcher Begründung?

Ohne Begründung. Da werden ihr die Berater abgeraten haben. Nach dem Motto: Wenn sie etwas Positives über Schröder sagt, kriegt sie Ärger mit ihrer Partei, wenn sie etwas Negatives sagt, kriegt sie Ärger in der Koalition. Was ich so höre, ist, dass sie, je länger sie im Amt ist, desto positiver über ihn spricht. Nicht inhaltlich, sondern weil er den Druck so weggesteckt hat. Diesen mörderischen Druck, den verstehen nur die Amtsinhaber.

Schröder und Sie waren auch mal dick befreundet. 1994 kam es zum Bruch, als Sie im Kreise der niedersächsischen Toskanafraktion eine seiner Wahlkampfreden kritisierten. Was ist der Film für Sie persönlich: ein Nachruf, eine Abrechnung?

Die Rekapitulation einer Zeit, die ich als sehr aufregend erlebt habe. Für mich ging es um die Frage: Wie verändert sich ein Mensch, den man gut kennt, wenn er in ein Amt kommt, das er nicht kennt? Am Ende hat ihn das Amt mehr verändert, als er das Amt. Andererseits bleiben trotz allem Kontinuitäten erkennbar.

Zum Beispiel?

Schröder hat nie Schwierigkeiten gehabt, mit einfachen Leuten zu reden. Da musste er sich nie verstellen, hat immer sofort den richtigen Ton gehabt. Er freut sich immer, wenn ihn Menschen mögen. Er mag Menschen auch.

Gibt es eine Eigenschaft, die Sie an ihm bewundern?

Ich kenne keinen Menschen, der so schnell lernt, der permanent guckt: Wie macht der das? Einmal waren wir in Eichstätt. „Mensch, ist das schön hier“, sagt Schröder. „Ja“, sage ich, „Carlo Schmid hat mal gesagt, das ist einer der schönsten Plätze Europas.“ Schröder geht ins Rathaus, Eintragung ins goldene Buch: „Ich freue mich hier zu sein, schon Genosse Schmid hat immer gesagt…“

Welche Rolle hat Berlin in Schröders Leben gespielt?

Der ist richtig aufgelebt. Ich weiß noch, als er ankam, standen wir oben im Staatsratsgebäude am Fenster, unten die Bauarbeiter. Die ganze Stadt war eine Baustelle, das fand der toll: „Guck mal hier! Komm, wink mal!“ Rausgehen, sich an die Straße setzen, Leute treffen, das hat erst aufgehört ihm Spaß zu machen, als er merkte, dass die Berliner Tageszeitungen Volontäre an die Nebentische setzten, um seine Rotweingläser mitzuzählen.

Sehen wir im Film auch einen Schröder, den wir so noch nicht gesehen haben?

Wenn er in neue Positionen kommt, ist er relativ unsicher. Das kann er zwar meisterhaft überspielen, aber man merkt es doch. Wenn der in Damaskus bei irgendwelchen Empfängen rumsitzt und um ihn herum entfaltet sich die Pracht von tausendundeiner Nacht, dann guckt der so ins Leere (Leinemann starrt die Wand an) und will am liebsten eine Currywurst.

Sehen wir Schröder im Kreise der Familie?

Nein. Ich habe mit Frau Schröder-Köpf geredet, lange. Die hat auch viel erzählt, aber halt nicht vor der Kamera.

Was ist das für eine Frau? Was hat Doris Schröder-Köpf, was drei Ehefrauen vor ihr nicht hatten?

Die ist auch ehrgeizig, engagiert und will, dass der Mann was erreicht. Aber anders als die anderen ist sie voller Bewunderung für ihn. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin macht sie ihm keine Vorwürfe. Das war immer ganz wichtig. Wenn in Berlin dicke Luft war, konnte er nach Hannover gehen, da war Ruhe. In Immensen war nie Ruhe.

Was sind Schröder und Sie heute?

Wir wissen, was wir von einander zu halten haben.

Freunde?

Nein, das nicht. Gute Bekannte, ehemalige Freunde, Weggefährten,… ach, weiß der Teufel.

Duzen Sie sich noch?

Ja, aber das hat mich nie beeinflusst. Ich kann genauso gut „Du Armleuchter“ wie „Sie Armleuchter“ denken.

Stimmt es, dass der „Spiegel“ Schröder am Ende weghaben wollte? Dass da eine Art Abrechnung stattgefunden hat, ausgerechnet durch die Redakteure, die zeitgleich mit ihm Karriere gemacht hatten?

Abrechnung? Ich weiß nicht. Bestimmt nicht vom alten Bonner Büro. Die Jüngeren, die dann kamen und das, was sie als Abrechnung bezeichnen, betrieben haben, das war eine andere Generation. Die haben über Schröder so gedacht, wie wir vorher über Kohl. Meine Tochter hat das mal sehr schön gesagt: „Vater, wir sind mit euch 68er-Eltern groß geworden, sind bei 68er-Lehrern in der Schule gewesen, haben dann 68er-Professoren an der Uni gehabt, und als wir gedacht haben, wir hätten sie endlich alle hinter uns…

…kommt ausgerechnet diese Truppe in die Regierung.

Genau. Ganz schrecklich.

Was wünschen Sie, Herr Leinemann, Gerhard Schröder für die Zukunft?

Dass er noch ein bisschen Spaß hat – er kann das Wort ja nicht mehr hören. Und, dass er mal Ruhe findet. Er wirkt noch immer sehr getrieben.

Das Interview führte Marc Felix Serrao.

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