
© ZDF/Maike Simon
Wissenschaftssendungen mit Mai Thi Nguyen-Kim: Ein Kessel Sternenstaub
Mai Thi Nguyen-Kim gehört zu den prominentesten Internet-Stimmen der Pandemie.Jetzt moderiert die Chemikerin zwei ZDF-Formate und startet mit ihrem Fachgebiet.
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Ach, was ist Wissenschaft doch wunderbar – erklärt sie uns doch mit haltungsstarker Faktenliebe Ursache und Wirkung der Dinge, also nahezu alles, was war, ist, gewesen sein wird auf Erden oder ringsum. Im Fernsehen aber schafft Wissenschaft nur in einladender Verpackung wahres Wissen.
Das ist ein Grund, warum sie heutzutage nur selten noch Cordhosenträger wie Winfried Göpfert oder Joachim Bublath präsentieren, sondern ein entstaubtes Allerlei von Harald Lesch über Dirk Steffens oder Ralph Caspers bis hin zum notorischen Eckart von Hirschhausen. Ab Sonntag im Team als unterhaltsame Sachstandsvermittlerin: Mai Thi Nguyen-Kim.
Sie wird in „Wunderwelt Chemie“ und bei „Terra X“ zu sehen sein
Bekannt aus der öffentlich-rechtlichen Talentschmiede funk, trat sie zu Beginn der Pandemie mit düsteren Prognosen über deren Verlauf ins Rampenlicht und blieb dort einfach sitzen. Wenn Deutschlands populärste Youtuberin abseits von Beautytipps nun sonntags ihr neues ZDF-Format „Wunderwelt Chemie“ im alten ZDF-Format „Terra X“ moderiert, explodiert demnach nicht nur die Frauenquote im Männermetier Infotainment; es wird auch um eine ebenso belesene wie telegene Influencerin bereichert, die trotz und wegen ihrer 34 Jahre alles bietet, was Forschungsfernsehen für Erwachsene auch seit Ranga Yogeshwars Frischzellenkur der frühen Neunziger fehlt. Theoretisch.
Praktisch beginnt der Dreiteiler so, wie er auch vor ihrer Geburt 1987 im hessischen Heppenheim geklungen hätte. „Ich nehme sie jetzt mit in die unsichtbare Welt der Moleküle“, liest sie hörbar vom Teleprompter ab und klingt dabei, als sage sie ein „Kessel Buntes“ im Seniorenstift an.
Wenn die kameraerfahrene Akademikerin sodann mit der Dynamik eines Treppenlifts hinzufügt, Elemente seien „Sternenstaub, zerstreut im All durch gewaltige Explosionen“, möchte man sich spontan mit einer schwarzweißen Folge „Abenteuer Forschung“ von 1964 reanimieren, so behäbig kommt die quirlige Mai Thi 2021 daher.
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Schleifen so schnell die Bedürfnisse der Stammzielgruppe 66+ selbst einer halb so alten Visionärin alle Kanten ab? Gemach. Als sie danach mit großer Kompetenz und etwas Humor durch die Geschichte des Elementarsten reist, von den Alchimisten im Mittelalter also bis zu den Virologen der Pandemie, schimmert jene Influencerin durch, die das Zweite gezielt aus der vielbeachteten Internet-Nische ins Hauptprogramm holt.
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Es war zu Beginn des ersten Lockdowns, als ihre Warnung, Covid-19 nehme gerade erst Fahrt auf, auf vier Millionen Klicks kam und das hintergründige Web-Magazin „maiLab“ zur Nummer eins der deutschen Youtube-Trends machte. Seither wurde die Tochter eines vietnamesischen BASF-Chemikers durch alle Instanzen der Aufmerksamkeitsökonomie geschickt. Hospitanz in Cambridge, Forschungsjahr in Harvard, Doktortitel in Potsdam – nichts förderte die Reputation vom vielfach ausgezeichneten Senatsmitglied der Max-Planck- Gesellschaft nachhaltiger als ihr Weckruf via funk, der ihr schließlich auch den Weg ins ZDF planierte.
[„Wunderwelt Chemie“, ZDF, Sonntag, 19 Uhr 30]
Dort nämlich sucht man nicht nur Nachwuchs mit Strahlkraft, sondern am besten ohne Y-Chromosom. Im Fernsehwissensfach bleibt das trotz junger Kolleginnen wie Yve Fehring und Lena Ganschow bisher die Ausnahme. Schon vor drei Jahren räumte Redaktionsleiter Peter Arens bei einer Pressekonferenz fürs hauseigene Infotainment den eklatanten Mangel passender Volontärinnen ein. Schon damals jedoch nannte er Mai Thi Nguyen-Kim ein „Riesentalent auf dem Sprung“. Sechs Jahre nach dem Start ihres Youtube-Kanals „The Secret Life of Scientists“ darf sie vom 24. Oktober an deshalb auch noch „MAITHINK X – Die Show“ bei Neo moderieren.
Hoffentlich mit weniger Choreografie vom Blatt als „Wunderwelt Chemie“. Und noch hoffentlicher mit weniger Blockbuster-Musik, die Info-Formate oft verkleistern, als wären es Wagner-Opern. Dazu könne man sich „ja gern mal mit einer Hirnforscherin über Emotionalität unterhalten“, verteidigte Mai This Kollege Dirk Steffens den bombastischen Dauersound, „erst die schafft nämlich Begeisterung“.
Fragt sich nur, bei wem? Millionen Abonnenten von „maiLab“ sind keinerlei Effekthascherei gewohnt. Hier folgt die Form der Funktion. Bei „Terra X“ ist es umgekehrt – der wundervollen Mai Thi Nguyen-Kim zum Trotz.
Jan Freitag
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