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Medien: Faszination des Grauens

RTL hat es wieder geschafft. Mit seiner Dschungelshow dringt der Sender in tiefste Abgründe menschlichen Daseins vor

„Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“ ist wieder eine jener Sendungen, bei denen keiner zugibt, dass er anschaut. Zumindest nicht öffentlich. Und wenn jemand zugibt, dass er eine, wirklich nur eine einzige Folge gesehen hat – selbstverständlich versehentlich, weil er beim Zappen dort gelandet ist – dann wird er niemals zugeben, dass er diese Show auch gern gesehen hat. Dennoch oder gerade deshalb legt die Dschungel-Show von RTL sehr ansehnliche Quoten hin. Seit Freitag läuft „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“ jeden Abend, zwei Wochen lang. Die erste Folge schauten 6,53 Millionen in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen, das entspricht einer Quote von 31,7 Prozent. Am Sonnabend stieg der Marktanteil auf 39,3 Prozent, und am Sonntag waren es sogar 39,5 Prozent.

Was ist das Faszinierende daran, zehn Prominenten zuzuschauen, wie sie irgendwo in Australien, auf einer Fläche von ein paar wenigen, übrigens ziemlich besenreinen Quadratmetern Regenwald Dschungel spielen? Schließlich handelt es sich bei diesen Menschen allesamt um Prominente, die man schon lange nicht mehr gesehen hat und/oder auch gar nicht sehen will. Deshalb dachte sich der Sender ja auch, im Titel der Sendung darauf hinweisen zu müssen, dass es sich hier um „Stars“ handelt. Die Antwort ist simpel: „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“ spricht die niedrigsten Instinkte, die schlechtesten Charaktereigenschaften an, die der gemeine homo sapiens in sich trägt. Allem voran die Schadenfreude, das befriedigende Gefühl der Genugtuung, es jemandem heimzuzahlen, den man nicht ausstehen kann, und die Lust, unsympathische Menschen, von denen man glaubt, es geschehe ihnen gerade recht, leiden zu sehen. Der Mensch ist im Grunde seines Herzens böse, und davon profitiert RTL.

Das Lustige ist, dass die Teilnehmer dieses Dschungel-Trips den Fernsehzuschauern genau das vorwerfen, selbst aber genau so bösartig und schadenfroh sind. Sowohl die Zuschauer als auch die Teilnehmer denken, nur die anderen seien so schlimm, selbst sei man die große Ausnahme. Und deshalb will auch keiner zugeben, die Show gern anzuschauen.

Daniel Küblböck zum Beispiel. Der Finalist der „Superstar“-Show lebt in dem Wahn, es, wie er sagt, „den Deutschen“ zeigen zu müssen, wie hart und männlich er ist. Die Zuschauer, grausam wie sie sind, geben ihm dazu jede Gelegenheit und haben ihn am Sonntag nunmehr zum dritten Mal in Folge dazu bestimmt, die „Dschungelprüfung“ machen zu müssen. Kabarettistin Lisa Fitz ärgert sich, schuld sei „das deutsche Volk, das so arschig ist“. Gleichzeitig benimmt sich niemand klischeehaft deutscher als Küblböck, wenn er sich echauffiert: „Ich geh’ mich jetzt beschweren“ und Fitz beim Anfeuern von Küblböck die bayerische Fahne schwenkt.

Trash vom Feinsten gab es am Sonntagabend. Ex-Hochspringer Carlo Thränhardt mit seinen an Franz Josef Wagner erinnernden Gesichtszügen, liegt oder hockt meistens auf der Pritsche, raucht und überlegt es sich gut, bevor er seine langen Gliedmaßen bewegt. Am besten versteht er sich mit der Ex-Sat-1-Moderatorin Caroline Beil, mit der er sich absentierte – offiziell, um Sport zu treiben. Als wüssten sie tatsächlich nicht, dass Kameras und Mikros dabei sind, taten sie das, was der gemeine Mensch am zweitliebsten tut: Sie lästerten, was das Zeug hielt. Und der Zuschauer tat, was man am allerliebsten tut: Zuhören, wie zwei lästern, ohne dass die merken, dass sie belauscht werden.

„Der Daniel“, sagte Beil, „der ist ja auch auf dem absteigenden Ast“. Der müsse „gucken, wo er bleibt“, nur deshalb mache er hier mit. Und über Susan Stahnke sagte Beil, „die hat so was Ältliches“, und die Fitz, „schau die mal an“, an der sei ja nun gar nichts mehr echt. Fachmännisch erkannte Thränhardt daraufhin, dass der Busen von Mariella Ahrens bestimmt auch aufgetunt sei. Und die RTL-Astrologin Antonia? „Die ist öko“, zischte Caroline Beil.

Währenddessen lässt sich Gottlieb-Wendehals-Darsteller Werner Böhm, dessen Figur an Homer Simpson erinnert, von Nachtsichtkameras filmen, wie er in den denkbar unvorteilhaftesten Unterhose mit einem Stock bewaffnet, weiß leuchtende Gestalten verfolgt, die außer ihm kein anderer sieht. Als er das am nächsten Morgen erzählt, erklärt Lisa Fitz die „Halluzinationen“ mit dem fehlenden Schnaps im Camp. Der Zuschauer, der von Böhms Alkoholproblemen weiß, zuckt zusammen.

Keiner der Teilnehmer, die sich reihenweise blamieren, wurde zum Mitmachen gezwungen. Jeder kann jederzeit aussteigen. Wer seine Würde für ein bisschen Öffentlichkeit derart aufs Spiel setzt, ist im Grund selber schuld. Als Küblböck zur Dschungelprüfung antrat, bei der er sich eine gläserne Kiste mit 30 000 Kakerlaken teilte, wurde ihm geraten, er dürfe einfach nicht daran denken, dass das Kakerlaken sind. Einfach den Hirnkasten ausschalten. Küblböck schaffte das sehr gut.

Die Reflexe funktionieren schon noch beim Zuschauen. Die Skrupel sind deutlich zu spüren und man weiß, eigentlich sollte man das nicht mitansehen: Aber es ist faszinierend, je grauenhafter es wird.

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