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Journalistische Medien werden bisweilen als „Lügenpresse“ geschmäht. Den Vorwurf gilt es, nachhaltig ad absurdum zu führen.

© picture alliance / dpa

Glaubwürdigkeit der Medien: Das Prinzip Gegenseitigkeit

Journalismus wird zur Vertrauensinstanz, wenn Medien mit ihrer Community progressiv umgehen. Ein Gastbeitrag.

Marlis Prinzing ist Professorin für Journalistik an der Macromedia Hochschule Köln. Weiterführend: Marlis Prinzing: "Ethik als Schlüssel für Medienvertrauen und Empowerment."

Kann man den Medien glauben, wenn es um die Covid-19-Krise geht? Um die Bundestagswahlen? Um Wetterprognosen? Sollen sie zu aktivem Klimaschutz auffordern? Gefahren eher kleinreden, um Menschen nicht zu beunruhigen? Woran lässt sich erkennen, welchen Information man trauen kann ?

Das Publikum will entspannen - und mitreden

Zahlreiche Kommunikationswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen, vor allem in Mainz, München und Münster haben sich mit den Erwartungen und Erfahrungen der Menschen im Umgang mit Medien befasst, weil sie herausfinden wollten, was Vertrauen fördert und was es zerstört. Die zentrale Erkenntnis: Entscheidend sind die Qualität der (journalistischen) Arbeit und die Qualität der Beziehung zum Publikum.

Menschen wollen das Gefühl haben, dass es ihnen „etwas bringt“, Medien zu nutzen: Sie möchten entspannen, aber auch mitreden können. Wenn Medien dies liefern und zudem Nachrichten ansprechend präsentieren, dann weckt dies ihr Vertrauen.

Die Empfehlungen im Pressekodex illustrieren, wie sich ethische Grundlagen auf berufspraktische Alltagssituationen (wie Berichte über Gewalt, Krankheiten, Katastrophen) übertragen lassen. Entlang dieser Empfehlungen lassen sich Qualität und damit Professionalität im Journalismus messen; eingebunden in journalistische Geschäftsmodelle trägt werteorientiertes Berichten zur Wertschöpfung bei. Verletzen Medien hingegen Pressekodex-Leitlinien, indem sie etwa sensationsheischend berichten, dann löst das bei den Menschen Misstrauen aus.

Professionelle Fertigkeiten stabilisieren Vertrauen. Beispiele sind Faktencheck-Initiativen. Sie machen Checks, für die man sehr versiert sein muss, und solche, mit denen jeder schnell selbst prüfen kann, ob eine News manipulativ ist. Sorgfalt, Faktenprüfung, Recherche, Klarheit (Was ist gesichert, was weiß man noch nicht genau?) sind ethisch begründete Wegmarken in der Abwehr gegen Desinformation.

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Warum ethische Begründungen? Ethik ist in konkrete Handlungs- und Entscheidungsideen übersetzte Philosophie. Sie liefert den Kompass. Die europäische Tradition vernunftorientierten und veranwortungsbewussten Handelns selbstbestimmter Bürgerinnen und bahnt sich den Weg zwischen der kommerziellen US-amerikanischen Variante und der chinesischen, in deren Mittelpunkt der gehorsame Bürger steht, als Gestaltungskonzept für die von den globalen Tech-Riesen (Facebook, Google etc.) geprägten, „plattformisierten“ öffentlichen Diskussionsräume.

Wer etablierte Medien häufig nutzt, hält Journalismus insgesamt für vertrauenswürdig

Ob es um Computerviren oder Giftmüll geht: Wir müssen erfahren, was wir tun können, sowie einordnen und prüfen, welcher Quelle wir vertrauen können. Kein Mensch kann alles selbst nachprüfen. Vertrauen in Institutionen ist konstitutiv für eine demokratische Gesellschaft. Journalismus ist eine ihrer Vertrauensinstanzen.

Die Forschung belegt interessante Bezüge, die zwar keine Kausalzusammenhänge nachweisen, aber wertvolle Hinweise liefern: Wer etablierte Medien relativ häufig nutzt, hält Journalismus insgesamt für relativ vertrauenswürdig. Wer sich in AfD- und Pegida-Milieus bewegt, nutzt vergleichsweise oft Medien, die extremen Positionen und Verschwörungserzählungen zugeneigt sind, und ist tendenziell medienkritisch.

Medienskepsis beeinträchtigt das Medienvertrauen. Medienskeptische Menschen bilden aber keine homogene Gruppe, es gilt zu differenzieren: Unter ihnen sind welche, die stereotyp Journalisten und Journalistinnen als Lügner verunglimpfen und sie sogar körperlich angreifen. Manche sind ambivalent und haben ein Rest-Vertrauen. Andere sehen etablierte Medien nur als verlängerten Arm der Politik. Oft ist an diese Einstellung ein Misstrauen gegenüber der Politik gekoppelt.

Medien müssen die Kritik an ihnen ernst nehmen, auch weil sich die Skepsis auf die Einstellung zur Demokratie abfärbt: Nur wer Medien einigermaßen traut, informiert sich über das, was auf der Welt passiert, beteiligt sich an Wahlen und akzeptiert demokratisch getroffene Entscheidungen. Zugleich muss man die Zahl der radikalen Skeptiker ins Verhältnis setzen zu der weit höheren Zahl von Menschen, die Journalismus vertrauen.

Dieses Vertrauen lässt sich durch eine systematische Zuwendung zur Community stärken. Ein Prinzip auf Gegenseitigkeit: Haben Menschen das Gefühl, dass Medien auch ihre Themen, ihre Sorgen aufgreifen oder erläutern, wie Berichte zustande kommen, dann wenden sie sich ihnen zu, dann fühlen sie sich beachtet.

Die Coronakrise demonstrierte die Systemrelevanz journalistischer Medien

Immer mehr Redaktionen betreiben angewandte Diskursethik, indem sie eine „beachtete und gehörte Publikumscommunity“ aufbauen und pflegen. Doch es gibt noch Luft nach oben. Oftmals wird die Chance übersehen, im gleichen Atemzug (digital-)ethisches Basiswissen zu vermitteln – im eigenen Interesse: ethisch kompetente Menschen können im Netz verantwortungsbewusst kommunizieren, professionellen Journalismus erkennen, seine Rolle in unserer Gesellschaft wertschätzen und über digitale Kommunikationsfragen selbstbestimmt entscheiden.

Die Zeit hierfür ist günstig. Medien könnten ihre Vertrauensgewinne aus der Coronakrise nutzen. Die Mainzer Vertrauensforschung belegt, dass die Bevölkerung in Deutschland etablierten Medien deutlich mehr Vertrauen schenkten und dass sich ihnen deutlich mehr Menschen zuwandten. Gegenüber Internetquellen wurden die Menschen schon zuvor vorsichtiger; dieser Trend verstärkte sich weiter.

Der Medienzynismus („Lügenpresse“) sowie die Zustimmung zu Verschwörungsvorstellungen (zum Beispiel von Medien und Politik) schwächten sich ab. Die Krise hat wieder bewusst gemacht, dass in Demokratien journalistische Medien generell systemrelevant sind als Informationsübermittler, Warner, Widersprecher, Erklärer. Öffentlich-rechtliche Medien erwiesen sich zwar in besonderem Maße als Vertrauensinstanzen, aber im Kern richtet sich die Vertrauenszuschreibung auf alle Medien, die für relevanten Journalismus stehen.

Marlis Prinzing

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