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Medien: Gut, dass vier geredet haben

Wahrscheinlich ist jeder von uns mal bei einem Abendessen gewesen, das so ähnlich ablief wie das erste "Philosophische Quartett" aus der Dresdener VW-Fabrik. Am Tisch sitzen einige nicht mehr ganz junge, überaus bedeutende und gebildete Männer, die am liebsten über sich selber sprechen.

Wahrscheinlich ist jeder von uns mal bei einem Abendessen gewesen, das so ähnlich ablief wie das erste "Philosophische Quartett" aus der Dresdener VW-Fabrik. Am Tisch sitzen einige nicht mehr ganz junge, überaus bedeutende und gebildete Männer, die am liebsten über sich selber sprechen. Es geht ihnen hauptsächlich darum, sich gegenseitig zu beeindrucken. Junge, Junge, das kann für die anderen eine ziemlich öde Angelegenheit sein. Man schaut an solchen Abenden alle zehn Minuten heimlich auf die Uhr. Und jetzt gibt es sowas sogar im Fernsehen!

Das "Philosophische Quartett" besitzt keine dramatisch auch nur annähernd so ergiebige Personenkonstellation wie das "Literarische Quartett". Die Gastgeber, der Philosoph Peter Sloterdijk und der Autor Rüdiger Safranski, gehören zu den eher verhaltenen Temperamenten, ihre Aura glimmt im Fernsehen nur schwach - das ist nicht ihnen zum Vorwurf zu machen, sondern dem ZDF, das sie für diesen Job ausgesucht hat. Was könnte das "Philosophische Quartett" sein? Ein Anti-Hysterie-Salon. Die Anti-Talkshow. Ein unaufgeregtes Gespräch, das von den Aktualitäten des Tages ausgeht und hinführt zu den so genannten ewigen Fragen. Warum die ewigen Fragen? Weil die Menschen in den letzten paar tausend Jahren im Wesentlichen die Gleichen geblieben sind. Weil fast jedes Problem, das uns in aufgeregter Tonlage als "neu" verkauft wird, in Wirklichkeit alt ist. So könnte das "Quartett" für den praktischen Wert der Bildung werben.

Die erste Runde zum Thema "Angst", mit den Gästen Reinhold Messner und Friedrich Schorlemmer, ging den umgekehrten Weg. Sie arbeitete sich fast 40 Minuten lang am Allgemeinen, Akademischen und Abstrakten ab, bis es - Stichworte: BSE, Kriegsangst - gegen Ende dann doch ein klein wenig konkreter wurde. Man stritt sich nicht, sondern reihte Monologe aneinander, wobei man vom Hölzchen aufs Stöckchen kam und sich nicht allzu sehr ums Publikum scherte. Das Publikum, sogar das gebildete, hat es ja im Prinzip gerne klar und deutlich, dann darf es gelegentlich auch ruhig kompliziert sein. Der deutsche Gelehrte des klassischen Typs aber umkreist sein Thema lange und sorgfältig, bevor er sich ihm nähert. Er liebt es, die Autoritäten zu zitieren, bevor er eine Aussage wagt. Dies gilt überraschender Weise auch für Tiroler Bergsteiger. "Das Wort Messner kommt vermutlich aus der Messdienerei." (Messner) "Der große Theologe Paul Tillich hat drei Angstquellen aufgelistet..." (Safranski) "Kierkegaard!" (Sloterdijk).

Man ist schnell versucht, solche Veranstaltungen als "typisch deutsch" zu schmähen, dieser masochistische Impuls ist ebenfalls typisch deutsch. Aber es ist tatsächlich schwer vorstellbar, dass eine ähnlich prominent besetzte Runde von Intellektuellen aus den USA oder aus England ohne Ironie, ohne Anekdoten oder wenigstens Gleichnisse ausgekommen wäre - man versucht dort halt gern, Erkenntnis sinnlich werden zu lassen. Das ist in Dresden nur Reinhold Messner hin und wieder gelungen, wofür er sich beinahe entschuldigte: "Ich bin ja nur normalgebildet, Abitur." Und Franzosen - Baudrillard zum Beispiel oder Bernard-Henri Lévy - hätten so schnell wie möglich eine Brücke zwischen der Philosophie und der Tagespolitik geschlagen. Der Intellektuelle fühlt sich dort im Guten wie im Bösen verantwortlich für sein Land, er gehört dazu.

Deutsche Intellektuelle geben sich oft herablassend, so halten sie sich das Land vom Leib. Das spürte man auch in Dresden, als Sloterdijk zu Beginn davon sprach, dass "die einen denken" (solche wie er), während "die anderen sich amüsieren" (die Dummen). Diesen scheinbaren Widerspruch, fügte er rasch hinzu, wolle man im "Philosophischen Quartett" aber auflösen. Denkste! Die erste Folge haben 800 000 Leute gesehen, aber wenn es bei dieser Zahl bleibt, fresse ich sämtliche drei Besen des großen Theologen Paul Tillich.

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