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Medien: Hunderttausend Zeilen Hass

Das Haager Tribunal ließ die Rolle der Medien in Milosevics Regime untersuchen

Von Caroline Fetscher

Wer hören wollte, der konnte. „Den Kroaten sollte man nicht mit Messern, sondern mit verrosteten Löffeln die Kehle durchschneiden“, befand Vojislav Seselj im Interview mit dem Magazin „Duga“ am 5. Juli 1991. Wenig später, am 6. August 1991, erklärte derselbe serbische Politiker dem „Spiegel“, die Kroaten seien „eine verrottete Nation“. Vor ein paar Tagen traf Seselj als Angeklagter beim Haager Tribunal ein, und selbst dort, sagt er, wolle er eine „Verschwörung gegen die Serben“ aufdecken. Die Medien seines Landes hatten ein Jahrzehnt lang ohne Unterlass davon gesprochen.

Wo immer heutzutage eine Diktatur aufrechterhalten wird, wo Bürgerkriege und territoriale Übergriffe vorbereitet werden, haben Fernsehen, Radio und Printmedien eine tragende Rolle. Im Irak bekommt die Bevölkerung täglich eine Dauerdosis des Diktators. Extensiver Personenkult und das Monopol über alle Nachrichtenquellen zeigen dort Züge einer klassischen Diktatur.

Über das Belgrader Regime der 90er Jahre, das klassische mit postmodernen Aspekten vereinte, liegt jetzt eine Studie von Renaud de la Brosse vor, der sich an der Universität Reims mit dem Spezialgebiet Massenmedien befasst. Von der Chefanklägerin Carla del Ponte am Haager Tribunal hatte de la Brosse den Auftrag, die mediale Propaganda für das Projekt „Großserbien“ in den Archiven aufzuspüren. Er wurde reichlich fündig. Die Studie kommt zum Schluss, dass es ohne das Fernsehen die Zerfallskriege womöglich gar nicht gegeben hätte.

Ab 1987 brachte Machthaber Milosevic nach und nach die staatlichen Fernsehanstalten unter seine Regie, bestellte parteinahe Leute oder Funktionäre seiner Partei zu Chefredakteuren, bestimmte häufig persönlich den Inhalt der Berichterstattung. 1991 hatte er diesen Prozess so gut wie abgeschlossen – und konnte so ständig 90 Prozent der Bevölkerung erreichen. Tag für Tag sollte die Idee „Großserbien“ tiefer ins Bewusstsein der Menschen sickern. Pausenlos wurden die Feinde Serbiens in einem Amalgam aus Geschichte und Gegenwart zusammenkonstruiert: Kroaten, Katholiken, die Ustascha, der Vatikan, Muslime, Faschisten, Osmanen, der CIA, die Uno, die EU. Manchmal wurden die „Traumata der Serben aus dem Zweiten Weltkrieg“ hervorgekramt, manchmal gelogen: Um aus bosnischen Muslimen, die „auf serbischem Boden“ siedelten, Feinde zu machen, erfand 1992 etwa das serbische Abendmagazin „Dnevnik 2“, Muslime hätten im Zoo von Sarajevo Serbenkinder den Löwen zum Fraß vorgeworfen. All das summierte sich, so de la Brosse, zu einem Halluzinogen, es rief einen Zustand hervor, in dem Realität und Erfindung zusammenflossen.

Die Propaganda war ubiquitär. Vom bosnischen TV Pale, dem Sprachrohr Karadzics, bis RTS, dem staatlichen Radio-Televisionsnetz Serbiens in Belgrad, bis hinein in die Zeilen jeder Zeitung. Slobodan Milosevic sah man als Retter Serbiens und der Serben inszeniert, von den Nachrichten bis hin zur Astrologie-Sendung am Dienstagabend um 8 Uhr 15 auf RTS 3, in der Milosevic prophezeit wurde, seine Sterne und die des Landes seien untrennbar verbunden, ein großartiger Mann wie er habe aber naturgemäß „viele Feinde“.

Als der Krieg kam, nahm die Kontrolle der Medien noch zu. „Wer nicht denkt wie wir, sollte nicht im Staatsdienst sein“, erklärte am 9. Januar 1993 der Funktionär Goran Percevic im Fernsehen. Ein paar Tage später entließ der größte Staatssender RTS 1500 seiner Mitarbeiter in den Zwangsurlaub, darunter vornehmlich Journalisten, die in der Unabhängigen Gewerkschaft organisiert waren. Mit regimekonformen Nachrückern ohne Berufserfahrung ließ sich die Mischung von Desinformation und Ausblenden besser durchsetzen.

90 Prozent der Bevölkerung wurden aus dem staatlichen Informationstopf gespeist. Von Sarajevo sah das serbische Publikum während der Belagerung nur Archivaufnahmen der intakten Stadt. Über Srebrenica erfuhr es aus einer kleinen Meldung, die Stadt sei aus den Händen muslimischer Fundamentalisten befreit worden.

Doch zehn Prozent „freier Medien“ leistete sich der Staat – anders als die klassische Diktatur des Irak – um nach innen und außen den Anschein des Demokratischen zu erwecken. Doch unliebsamen Printmedien wie „Vreme“, „Nasa Borba“ oder „Danas“ rückte das Regime mit technischen und administrativen Schikanen zuleibe: Papiermangel, Strafzahlungen, Entzug von Lizenzen, Blockieren von Frequenzen. Wenn alles nicht wirkte, gab es auch Verhaftungen. Der Verleger des „Dnevnik“, Slavko Curuvija, wurde im April 1999 vor seinem Haus erschossen.

Erst im Kosovo-Krieg wurde die Medienkontrolle total. Der wichtigste freie Sender Belgrads, B92, wurde ganz geschlossen, 55 weitere kleine Sender auch, ebenso alle Zeitungen und Sender im Kosovo selbst. Zu diesem Zeitpunkt, Anfang 1999, hatte das Regime begriffen, dass auch kleine Räume freier Meinungsäußerung gefährlich sein können. Es wurde sozusagen vorübergehend „irakisch“.

Dennoch – der Drang der unabhängigen Journalisten war nicht aufzuhalten. Nach dem Krieg und der Uno-Resolution 1244 waren es bald wieder die kleinen Sender und B92, die dazu aufriefen, den Mann an der Spitze zu stürzen. Wo einmal Offenheit war, lässt sich kein dichtes Gefängnis mehr errichten, auch nicht für Gedanken und deren Verbreitung. Das ahnt Saddam Hussein, in dessen Staat Satellitenschüsseln verboten sind. Sie können gefährlicher sein als Waffen.

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