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"Mr. Corman": Ihm geht’s furchtbar

Die Apple-TV-Serie „Mr. Corman kümmert sich auf leichte Art um einen Mittdreißiger.

Stand:

Nein, Josh Corman steht nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Seine Musikkarriere hat er unfreiwillig gegen eine als Lehrer getauscht. Seine Schüler bringen ihn mit jedem Widerspruch aus der Fassung. Seine Wohnung teilt er nicht mehr mit der Ex-Verlobten, sondern dem besten Freund. Seine Freizeit variiert zwischen Videogame und Fernsehen allein oder in Gesellschaft anderer Paarungsverlierer. Und als er sich doch endlich mal an die Flirtfront einer Bar wagt, kriegt der Mittdreißiger keinen hoch. Da kann man(n) schon mal Panik kriegen.

Buchstäblich.

Bald drauf nämlich zersägt ein fieser Hintergrundsound fürs Publikum gut hörbar die Psyche von „Mr. Corman“, zusätzlich verstärkt von Gongschlägen aus der Hölle einer beginnenden Angststörung, die dessen Hauptdarsteller und Regisseur Joseph Gordon-Levitt nach eigenem Drehbuch von Freitag an bei Apple TV+ ausbaden muss, ausbaden darf. Immerhin. Denn bis dahin hat seine Titelfigur für alle ersichtlich, für sich selber verborgen schwer an chronischer Beliebigkeit gelitten. „Mir geht's gut“, lautet auch danach noch gern die Antwort, falls WG-Genosse Victor (Arturo Castro) nach seiner Gemütsverfassung fragt. Und „mir geht's gut“, entgegnet er Mama Ruth (Debrah Winger), wenn sie das Gegenteil erspürt.

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Mit dem Spruch werden zudem sämtliche Kollegen und Bekannten lächelnd abgebügelt, bevor ihn am Anfang der zweiten Folge endlich die Einsicht ereilt: Mir geht's furchtbar. Erst dann beginnt der weiße junge Mann Hilfe anzunehmen. Wenngleich alles andere als gut beraten vom amerikanischen Gesundheitssystem, das emotionale Sorgen lieber medikamentiert als austherapiert. Showrunner Joseph Gordon-Levitt – 2015 durch Oliver Stones Biopic „Snowdon“ auch hierzulande bekannt geworden – hat sich mit „Mr. Corman“ ein Paradebeispiel amerikanischer Realitätsverdrängung auf den Leib geschrieben, die nicht nur, aber besonders Männer durchleiden.

["Mr. Corman", AppleTV+]

Eingekeilt zwischen Tradition und Moderne, Beharrungsvermögen und Veränderungswillen, zittern sie übers Hochseil fauler Kompromisse und werden beim Blick in den Abgrund mal trotzig, mal ängstlich, meist beides – was Männchen bekanntlich zur Gefahr für sich und andere macht. So beobachten wir den familienbetriebsblinden Mr. Corman vorerst sechs Teile lang staunend bei einer Eigentherapie, die ihn von Kifferbuden übers Elternhaus in Selbsthilfegruppen führt.

Das Außergewöhnliche an der Serie ist allerdings gar nicht so sehr dieses tragikomisch dekorierte Guckloch im Grenzzaun der Generationen X und Y, deren Probleme gefühlsverwahrloste Nostalgiker wie Mr. Corman zwar geerbt haben, nicht aber ihre soziokulturelle Deutungshoheit.

Beim Lächeln leiden

Joseph Gordon-Levitt spielt den verhinderten Popstar wie ein weißes Blatt, das sich mit einem Pinselstrich kolorieren und ausradieren lässt. Sein konturloses, gleichsam ausdrucksstarkes Gesicht kann beim Lächeln leiden und beim Wüten frohlocken.

Zwischen Sommer, Strand und Panikattacken hat der Serienschöpfer in seiner Heimatstadt L.A. damit ein Alter Ego für alle Erfordernisse linearer Fernseherzählungen kreiert. Familiendrama steckt darin ebenso wie Patchwork-Komödie, Coming-of-Age-Story oder Getting-old-soon-Geschichte. Mattglanzskizze einer Spezies im Wandel. Und nicht nur das. Weil Joseph Gordon-Levitt seine Individualanalysen am Anfang und Ende jeder Episode mit Musicaleinlagen, Gedankenanimationen, Comic(s)trips lustvoll an den Rand der Groteske verlagert, wirkt alles Tragische oft angenehm leichtfüßig und alles Komische schwermütig.

Weil alles Leiden an der Welt am Ende gar nicht so viel mit seiner Männlichkeit, sondern einer Krankheit namens Depression zu tun hat, macht es diesen All-American-Loser zur interessantesten Fernsehfigur seit Tony Sopra

Jan Freitag

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