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Noch ist Hermann (Walter Sittler, Mitte) putzmunter. Doch das ändert sich bald. Seine Freunde Friedrich (Michael Wittenborn v. l. n. r.), Joachim (Heiner Lauterbach), Annette (Adele Neuhauser) und Ella (Iris Berben) haben in dieser tiefschwarzen Komödie jedoch guten Grund, seine Leiche fünf Tage lang am Leben zu erhalten.

© TVNOW/Frank Dicks

Komödie „Unter Freunden stirbt man nicht“: In der Eskalationsspirale

Weil es keine Nobelpreise für Tote gibt: „Unter Freunden stirbt man nicht“ ist famoses Serienentertainment mit erstklassiger Besetzung.

Die Leiche zu spielen, ist anspruchsvoller, als das Publikum gemeinhin vermutet; stundenlang reglos herumzuliegen, erfordert schließlich ein hohes Maß an körperlicher, aber auch mentaler Selbstkontrolle. Applaus allerdings, Prestige, gar Preise kriegt man dafür indes nicht. Schade eigentlich – Walter Sittler hätte für seinen Auftritt als Leiche von alledem reichlich verdient. Nur drei Minuten nämlich, nachdem sie heimkommt, findet Adele Neuhauser ihn tot im Bett. Also nicht Walter Sittler natürlich, sondern Hermann Wiegand – ein Wirtschaftswissenschaftler aus Bonn, der fünf Tage später für den Wirtschaftsnobelpreis vorgesehen ist.

Da er jedoch nie posthum verliehen wird, fasst die hinterbliebene Buchhändlerin einen Beschluss im engsten Freundeskreis: Hermanns Tod muss bis zur Bekanntgabe aus Schweden unentdeckt bleiben. „Was sind schon fünf Tage, verglichen mit der Ewigkeit?“, fragt sein herbeigeeilter Kumpel Joachim (Heiner Lauterbach) im Angesicht des frisch Verblichenen. Nicht viele, denken sich da auch Ella (Iris Berben), Friedrich (Michael Wittenborn) und Annette (Adele Neuhauser) und versuchen, Hermanns Ableben mit billigen Tricks vom Räucherstäbchen bis zum Rollentausch zu verheimlichen.

[„Unter Freunden stirbt man nicht“, TV Now, vier Folgen]

Ganz schön viele, antwortet dagegen die Wirklichkeit und schickt das augenscheinlich selbstlose Quartett vier Folgen lang in eine Serieneskalationsspirale von tiefschwarzer Heiterkeit. Während Regisseur Felix Stienz das Ende von Claudius Plägings Drehbuch von Beginn an auf der RTL-Plattform TV Now vorwegnimmt und die vier Komplizen zwischendurch regelmäßig beim Polizeiverhör zeigt, kollidiert ihr Geheimhaltungsplan unablässig mit der Realität. Die Verwesungsprozesse müssen verzögert, unliebsame Besucher abgewimmelt, zu allem Überfluss das Verhältnis der vier Überlebenden geklärt werden. Und natürlich öffnet Hermanns Gang durchs Himmelstor Türen, durch die uns neben den Hauptfiguren auch Cameo-Auftritte von Steffen Hallaschka und Elke Heidenreich launig geleiten.

Wir befinden uns schließlich in der horizontal erzählten Fiktion des RTL-Portals, das mit „Unter Freunden stirbt man nicht“ seine Serienoffensive startet. Je länger die Titelfiguren Hermanns Tod vertuschen, desto mehr erfahren sie demnach über sich und andere. „Vielleicht gibt es Seiten an ihm, die du gar nicht kennst“, ruft Ella in Joachims Ehestreit. „Ihr kennt den nicht“, brüllt dessen Frau zurück, worauf er „keiner kennt hier niemanden“ antwortet. Damit wäre auch viel über die Beweggründe gesagt, eine Leiche fünf Tage tot am Leben zu erhalten.

Vom Ruhm will jeder profitieren

Weil sie nach ihrer Prügelei mit einem sexuell übergriffigen Holocaust-Überlebenden vor dem Ruin steht, versucht Annette an die Lebensversicherung zu kommen und braucht dafür Zeit; weil er lebenslang in Hermanns Schatten stand, will der Hobbypoet Joachim wenigstens im Klappentext seiner Gedichtsammlung vom Glanz des Nobelpreisträgers profitieren; weil sie auf verschiedene Art sexuell frustriert sind, bauen Ella und Friedrich beim Konservieren zudem reichlich Frust ab. So wird dieser gehobene Klamauk zum tragikomischen Spiegelbild einer alternden Gesellschaft im Jugendwahn. Und zum Glück nimmt er nicht nur toxische Männlichkeit aufs Korn, sondern auch mal vermeintlich heilsame Weiblichkeit.

Ob Ellas promiske Single-Prahlerei entwürdigender ist als die sexuelle Larmoyanz des unglücklich verheirateten Friedrich, liegt da im Auge des Betrachters, ergo: Publikums. Wie die deutsche Adaption der israelischen Romanverfilmung „Stockholm“ sie allerdings in eine vergnügliche Erzählung über alters(un)weise Freundschaft integriert, ist trotz häufiger Slapstick-Elemente famoses Serienentertainment. Das beste Beispiel dafür liefern aber doch wieder mal alte weiße Männer, deren Selbstgerechtigkeit zum Himmel stinkt.

Wenn Joachim einer Anhalterin die Anekdote erzählt, wie er seinen Freund als Teenager einst allein im dunklen Wald zurückgelassen hat und daran wachsen durfte, dreht sie sich in Hermanns postmortaler Videobotschaft zum Geburtstag seines besten Freundes ins genaue Gegenteil – bis die Fassung von Joachims Frau gleich beide Männer Lügen straft. Was lernen wir daraus: Wahrheit ist ein variables Gut. Alter schützt vor Torheit nicht. Alte weiße Männer sind nicht grundsätzlich ätzender als alte weiße Frauen. Und gäbe es einen Oscar für die beste Filmleiche, Walter Sittler hätte ihn dicke verdient.

Jan Freitag

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