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Deutschland gehört zu den „Protecters“- Ländern. Auch die Rechte von Tätern und Verdächtigen werden dort von den Medien zumeist beschützt.

© dpa

MEDIA Lab: Mord in den Medien

Alle Medien berichten über Morde. Aber nicht alle Medien in aller Welt berichten in gleicher Weise darüber

Wie berichten die Medien über Mord und Totschlag? Die naheliegende erste Antwort für ein kommerzielles Mediensystem wäre: So, dass beim Publikum ein Maximum an Aufmerksamkeit generiert wird. Doch ganz so einfach ist es nicht. Romayne Smith Fullerton (University of Western Ontario, Canada) und Maggie Jones Patterson (Duquesne University in Pittsburgh/USA) haben die Kriminalitätsberichterstattung in acht westeuropäischen Ländern sowie in Kanada und den USA verglichen.

Kriminalitätsberichterstattung in der westlichen Welt

Basierend auf rund 200 persönlichen Interviews, die sie mit Medienexperten und Journalisten geführt haben, spüren sie den Unterschieden nach, die die Kriminalitätsberichterstattung in der westlichen Welt charakterisieren. Sie identifizieren dabei drei Modelle: Deutschland, Schweden und die Niederlande gruppieren sie bei den „Protecters“ ein. Das sind die Länder, in denen Journalisten bei Tatverdächtigen die Unschuldsvermutung hochhalten und Beschuldigte und ihre Familien auch im Blick auf Rehabilitation und Reintegration in die Gesellschaft tendenziell beschützen.

Als „Watchdogs“ identifizieren die Autorinnen die Journalisten in den angelsächsichen Ländern, also im Vereinigten Königreich, in Irland, in den USA und in Kanada: Hier würden die Reporter das Recht der Öffentlichkeit in den Vordergrund rücken, auch spezifische Details über Mordfälle zu erfahren – was bis hin zur Nennung von Namen und Adressen Verdächtigter gehen kann.

Ambivalent in Südeuropa

Zwischen diesen beiden Polen befinden sich die „Ambivalenten“: In Südeuropa, also Italien, Spanien und Portugal bewegen sich die Journalisten im Mittelfeld. Im Normalfall werden die Schutzbedürfnisse Betroffener respektiert, aber bei besonders krassen Morden, die viel Medienaufmerksamkeit versprechen, werden medienethische und -rechtliche Regeln dann zugunsten der Sensationsgier gebrochen.

Mordgeschichten erzielen öffentliche Aufmerksamkeit, weil sie sich an den äußersten Rändern menschlichen Verhaltens abspielen“, resümieren die beiden Forscherinnen. So wichtig Klicks, Einschaltquoten und Auflagenzuwächse sein mögen: Interessant an der sehr detaillierten und facettenreichen Studie ist vor allem, wie die Forscherinnen die kulturellen und historisch bedingten Unterschiede im journalistischen Umgang mit Tatverdächtigen, Mördern und Mordopfern herausarbeiten.

Lesetipp: Romayne Smith Fullerton/ Maggie Jones Patterson: Murder in our Midst Comparing Crime Coverage Ethics in an Age of Globalized News, Oxford University Press: Oxford/New York 2021

Stephan Russ-Mohl

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