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Der Reichsdeutsche. Nach Auflösung einer Geiselnahme wird Bernd Emil Jaschke (Waldemar Kobus, Mitte) von der Polizei abgeführt.

© rbb/Oliver Feist

"Polizeiruf 110" des RBB: Mörderischer Landraub

Immobilienspekulation an der deutsch-polnischen Grenzen, Reichsdeutsche und historische Vorurteile. Der neue „Polizeiruf 110: Heimatliebe“ des RBB am Sonntag.

Eine Scheune brennt, ein Gerichtsvollzieher wird als Geisel genommen, die kleine Tochter der Kommissarin Olga Lenski wird angeschrien, bloß weil schon am ersten Schultag die Lehrerin krank ist und die Polizistin ihr Kind im Büro unterbringen muss. Zur Tristesse der ersten Szenen passt die Meldung vom TV-Abbau Ost: „Der ,Polizeiruf 110: Heimatliebe‘ ist für Maria Simon der 15. Brandenburger Polizeiruf als Kommissarin Olga Lenski, davon der siebte im Team mit Lucas Gregorowicz. Maria Simon wird noch für drei weitere RBB-Polizeiruf-110-Krimis vor der Kamera stehen, bevor sie sich neuen Aufgaben widmen möchte.“

Auch das noch. Simon geht 2020. Keine Schauspielerin ist von der Kritik bei ihrem Debüt so gebenedeit worden wie die kühle Maria, die gebürtige Leipzigerin mit „Ernst Busch“-Ausbildung, die 2011 Nachfolgerin von Katrin Sass, Jutta Hoffmann und Imogen Kogge wurde. Sie entsprach so ganz dem Wunsch der Krimipuritaner nach Sprödigkeit und erotischer Neutralität trotz blendenden Aussehens.

Schließlich knattert Krause mit Hund und Motorrad aus dem Seriendienst. Fälliger Mythenabschied im sich entmythisierenden deutschen Osten. Nun setzte der RBB auf Europäisierung. Es wurde eine deutsch-polnische „Polizeiruf 110“-Ermittlungseinheit aufgestellt, Dienstsitz Frankfurt/Oder. Der auch im Ruhrgebiet aufgewachsene polnische Schauspieler Lucas Gregorowicz trat Simon als Kriminalhauptkommissar Adam Raczek an die Seite.

Sachlichkeit statt Gemüt

Krause weg, Gemüt weg. Sachlichkeit breitete sich aus, nationale Fettnäpfchen stehen überall. So tauchen wir im neuem Stück „Heimatliebe“ (Buch und Regie: Christian Bach) in aller Gründlichkeit in die Finsternis der Probleme. Es geht um die Folgen des Immobilienbooms links und rechts der Oder, der auf längst überwunden geglaubte historische Vorurteile trifft.

Die Scheune des polnischen Bauern Wojciech Sekula (Grzegorz Stosz) geht in Flammen auf. Das Vieh kommt um. Der Landwirt wird von Angreifern verletzt. Seine aus Deutschland stammende zweite Frau Jenny Sekula (Anna König) drängt zur Aufgabe des Anwesens. Der Sohn des Bedrängten aber, der Knabe Tomasz (Joshio Marlon), hält wie sein Vater an der Liebe zur heimatlichen Scholle fest.

Dann überschlagen sich die Ereignisse. Die Ermittler Lenski und Raczek geraten in einen modernen Bauernroman. Erst wird ein abgeschnittener Finger gefunden, dann ermorden Unbekannte bei einer zweiten Attacke den stolzen Wojciech, dessen einst enterbter Bruder Andrzej Sekula (Marcin Pietowski) unter Mordverdacht gerät. Es stellt sich bald heraus, dass die nun verwitwete deutsche Frau des Ermordeten schon lange nach Deutschland zurückwill und ein gut dotiertes Übernahmeangebot von Bodenspekulanten für das Anwesen hat, dem der Sohn nur zustimmen muss, damit das Geld fließt. Der aber bleibt den Grundsätzen seines Vaters treu.

Zugleich bringt ein Anhänger der „Reichsdeutschen“-Bewegung (Waldemar Kobus) Arbeit für das Ermittlerteam. Er nimmt einen Gerichtsvollzieher als Geisel, weil er aus rechtsanarchischen Gründen den deutschen Staat nicht für steuereinzugsberechtigt hält. Zum Glück für Lenski kann ein alter Bekannter und heutiger Bürgermeister (Hanns Zischler) die Situation klären, bittet aber auffällig um Milde für den Geiselnehmer.

Das Dienstmädchen geschurigelt

Bei dem Bürgermeister entdecken die Ermittler hinter der jovialen Fassade Adelsarroganz. Wenn man sieht, wie dieser Roland von Seedow-Winterfeld (nicht Seedoof-Winterfeld, das blaublütige Kerlchen hat eine Menge Kohle zusammengerafft) Hof hält und mit seiner hochgestochenen Mutter (wunderbar fies: Gudrun Ritter) in neu-adligem Ambiente das polnische Dienstmädchen schurigelt, ahnt der Zuschauer, was da alles im Immobiliensumpf mitblubbert.

Derweil begutachten Lenski und der verschlossene Raczek weitere Tatorte, müssen sich beschimpfen lassen und zeigen sich routiniert mit immer dicker gewordener Diensthaut. Schade, das stille Staunen in den Gesichtern der Ermittler, das zu Beginn der Krimiserie besonders bei Simon zu beobachten war, dieser einsamkeitsverliebte Westernstolz, sich in einem abgehängten Gebiet zu behaupten, ist verschwunden. Jetzt arbeitet der RBB-„Polizeiruf“ in einem „ganz normalen“ Schurkenland, wie es so manches in den Grenzregionen Europas gibt. Krauses Beiwagen-Motorrad steht im Museum.

„Polizeiruf 110 – Heimatliebe“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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