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„Bild“-Chef Julian Reichelt steht durch einen Medienbericht erneut in der Kritik.

© Imago/Jörg Schüler

„New York Times“ über Springer-Konzern: Sex, Lügen und Julian Reichelt

Ein Artikel in der „New York Times“ zeichnet ein Sittenbild des Medienhauses Axel Springer. „Sex, Journalismus und Firmengelder“ würden miteinander vermischt.

„Allegations of Sex, Lies and a Secret Payment“, der Titel in der „New York Times“ über Axel Springer lässt das Wasser im Mund zusammenlaufen. Endlich (nackte) Tatsachen über die Arbeitsweise und die Arbeitskultur in dem Medienkonzern, insbesondere über das Regime von „Bild“-Chef Julian Reichelt, der sich mit einer heftigen MeToo-Affäre konfrontiert sah und schon nach zwölf Tagen Untersuchung/Absenz durch seinen Arbeitgeber wieder seinen Journalismus praktizieren konnte. Am Montagabend gab der Axel Springer Konzern bekannt, Reichelt von seinen Aufgaben zu entbinden.

Autor Ben Smith zielt aber über ein Sittenbild hinaus auf zwei Fragen: Kann ein derart geprägtes Unternehmen das jüngst erworbene US-Newsportal „Politico“ seriös führen, und wie steht es um einen (deutschen) Journalismus, der vor einer tiefergehenden Springer-Recherche lieber zurückschreckt als sich mit dem streitlustigen Konzern anzulegen?

Es mag Zufall oder kein Zufall sein, aber der „NYT“-Artikel wurde in dem Moment publiziert, als in den Ippen-Medien Details über das fragwürdige Gebaren auf Springers Chefetagen nicht erscheinen konnten, weil Verleger Dirk Ippen es verhinderte.

Einen Eingriff „nach Gutsherrenart“, fürchtet DJV-Chef Frank Überall, spricht von einem „massiven Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit und die innere Pressefreiheit der Redaktion“ und fordert den Altverleger „nachdrücklich“ dazu auf, die Trennung von Redaktion und Verlag zu beachten. Schon das „Handelsblatt“ war bei der Causa Reichelt zurückgezuckt, „Der Spiegel“ berichtete über dessen Fehlverhalten und handelte sich juristischen Ärger ein.

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Jetzt die „New York Times“. Ben Smiths Recherche lässt sich gut in seinem eigenen Satz zusammenfassen: „Die Dokumente, die ich gesehen habe, zeichnen das Bild einer Arbeitsplatzkultur, in der Sex, Journalismus und Firmengelder vermischt wurden.“ Das dazu passende Zitat ist saftig: „So läuft das immer bei Bild, wer mit dem Chef schläft, bekommt einen besseren Job“, wird die Aussage einer Mitarbeiterin zitiert, die sie während der Befragung durch jene Anwaltskanzlei, die Springer mit der MeToo-Aufarbeitung beauftragt hatte, getätigt hatte.

Mister Springer himself: Mathias Döpfner im Fokus

Wie sehr dieser Teil der „NYT“-Recherche für US-amerikanisches Publikum interessant ist, sei dahingestellt. Attraktiver könnte der zweite Aspekt, sprich Mister Springer himself sein: Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender, „dem jetzt das Unternehmen gehört“. Smith beschreibt Döpfner als „charismatisch“, sein und das Ziel seines überwiegend männlichen Führungsteams war es, Springer in einen globalen Riesen zu verwandeln, der in der Lage ist, das Rätsel zu lösen, wie man vom digitalen Journalismus profitieren kann.

Der Charismatiker. Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner ist zugleich Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger.
Der Charismatiker. Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner ist zugleich Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger.

© Mike Wolff

Aber bei dieser Perspektive bleibt es nicht. Döpfner tanzt bei aufwendigen Weihnachtsfeiern Polka, der Besitzer einer der führenden Sammlungen weiblicher Aktbilder will mit dem „Politico“-Kauf seine „Vision von unvoreingenommener, überparteilicher Berichterstattung verkörpern, im Gegensatz zum aktivistischem Journalismus“.

Was anderes aber betreibt „Bild“, fragt nicht nur „NYT“-Autor Smith, dem von anderer Seite gesagt wird, Springers Verhandlungsstil sei bei der gescheiterten Akquise der Newsorganisation Axios „hinterhältig“ gewesen. Smiths Fazit: „Ein hochfliegender deutscher Mediengigant hat bei den digitalen Medien die Nase vorn, scheint aber in der Vergangenheit festzustecken, wenn es um den Arbeitsplatz und das Geschäftsgebaren geht.“

Welche Bedeutung das MeToo-Thema in den USA hat, kann nicht überschätzt werden. Die drei Journalisten von „New York Times“ und „New Yorker“, die im Oktober 2017 die Affäre um Filmproduzent Harvey Weinstein aufdeckten, wurden umgehend mit Pulitzer-Preisen ausgezeichnet. Die Debatte blieb nicht auf Hollywood-Regisseure und Schauspieler beschränkt. Wegen Vorwürfen über sexuelle Belästigung erhielten Fernsehjournalisten bei MSNBC, CBS, NBC und NPR ihre Kündigungen.

Auch bei der „New York Times“ gab es einen MeToo-Fall. Glenn Thrush wurde zeitweise suspendiert und verlor seinen Job als Korrespondent im Weißen Haus. Die detaillierten Schilderungen des „New York Times“-Artikels über die Vorgänge bei Springer dürften dem Verständnis in den USA über die Entscheidung im Fall Reichelt und über die Dignität des Konzerns nicht förderlich sein.

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