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Was hat er mit Franks Drohung zu tun? Fahnder Harald Eisner (Harald Krassnitzer) knöpft sich Kerem (Mehmet Sözer) vor, den Freund seiner Tochter Claudia.

© ARD Degeto/ORF/Hubert Mican

Generation Gewalt im ORF-"Tatort": „Schock“ ist ein spektakulärer Krimi

Der Wiener „Tatort“ gibt der Verzweiflung der Jugend unter Leistungsdruck und ohne Zukunft eine Plattform. Das gelingt.

Ansage mit Bild und Ton im Netz: „Ich bin normal. völlig normal. Mein Name ist David Frank. Ich werde meine Mutter, meinen Vater und anschließend mich selbst töten. Und ich werde mich bemühen, Ihnen zu erklären, warum.“ Braucht es noch mehr, um die Wiener Polizei in Alarm zu versetzen? Sofort bildet das Bundeskriminalamt eine Sonderkommission, geführt wird sie von Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser).

Die Uhr tickt, die angekündigte Tat bekommt ein Umfeld. David Frank (Aaron Karl) bringt in einem weiteren Auftritt die Universitätsdozentin für Soziologie, Sarah Adler (Mercedes Echerer), ins Spiel. Sie ist Autorin des Buches „Völlig normal“, in dem der gewaltige Leistungsdruck auf die jüngere Generation bei minimalen Zukunftsperspektiven angeprangert wird. Bald zeigt sich, dass Frank Mitglied eines konspirativen Netzwerkes radikaler Aktivisten ist; darin verwickelt ist auch Kerem Sami Shafka (Mehmet Sözer), der David Frank bei der Verbreitung seiner Botschaften technischen Support geleistet hatte. Kerem ist auch der Freund von Eisners Tochter Claudia (Tanja Raunig) und nicht gerade Papas Liebling, zu gerne nennt der Kerem„Kermit“. Der Polizist aber muss zugleich erkennen, dass er die Generation Y und seine Tochter nicht wirklich kennt. Claudia sagt: „Wir sind die Pflichterfüller-Generation.“ Jetzt wird’s privat, jetzt wird’s psychologisch, jetzt kommen die großen Fragen: Ist Gewalt gerechtfertigt, wenn die Missstände groß und größer werden?

Ermittlungen werden live gestreamt

Der „Tatort“ von Autor und Regisseur Rupert Henning hat ein, sein Thema. Und noch anderes im Gepäck. Die Fahndung läuft unter großem öffentlichen Druck ab, weil die Netzaktivisten ein ums andre Mal die Ermittlung live streamen. Und die Sonderkommission ist kein Sammelbecken für Friede, Freude, Eierkuchen. Oberst Ernst Rauter (Hubert Kramar) hat seine liebe Not, die Fliehkräfte aufs gemeinsame Ziel zu konzentrieren. Besonders der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, Gerold Schubert (Dominik Warta), kommt mit Eisner immer wieder über Kreuz. Das Kompetenzgerangel eskaliert, Eisner wird die Leitung entzogen, was seinen Oberst-Vorgesetzten nicht hindert, ihn auf anderen Wegen wieder mit dem Fall zu betreuen.

Es gibt im 15. Fall von Eisner und Fellner viel Wiedererkennbares: Der Oberstleutnant ist so hitzköpfig wie allergisch gegen Autoritäten, sieht er eine Abkürzung Kopf durch die Wand, rennt er mit demselben durch die dieselbe. Kollegin Fellner schaut sich die Menschen genauer an, sie kombiniert Charme, Chuzpe und Diplomatie. Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser akzentuieren das ungleiche Paar mit verfeinerter Präzision, pointierte Dialoge werden pointiert gesetzt, das Zusammenspiel der beiden ist ingeniös.

Nicht Mordaufklärung - Mordverhinderung

„Schock“ ist ein spektakulärer Krimi. Einmal, weil ein „junges“ Thema aufgerufen und mit großem Ernst ausgebreitet wird. Das geht bis zur trockenen Thesendichte, egal, im akademischen Sezierraum ist es zur analytischen Anklage, zur anklagenden Analyse der Gesellschaft nicht weit. David Frank bekommt seine Erklärfolie, in sparsamen Rückblenden geht es hinein in die Familie einer Staranwältin und eines Mathematik-Professors, der seinem zweifelnden Sohn dekretiert: „Niemand fragt dich später, wer du bist, sondern was du bist.“ Die Familie, eine Erfolgsdruckkammer.

Auch die zentralen Orte dieses Films, der das Krimiprinzip auf den Kopf stellt (nicht Mordaufklärung, sondern Mordverhinderung), sind hoch aufgeladen: das hell ausgeleuchtete Besprechungszimmer der Fahndergruppe, die düstere Fabrikhalle, in der David Frank die Fahndung quasi steuert. Nicht-Orte als Ausstülpung der Unbehausten.

Regisseur Rupert Henning treibt die Emotionen, sein „Schock“-Krimi wirkt fiebrös, er hat eben den dramaturgischen Vorteil auf der Seite, den ihm sein Spiritus rector, der Autor Rupert Henning, aufgeschrieben hat: David Frank hat die ,Tötung seiner Eltern angekündigt, vollzogen hat er sie nicht. Die Klärung des Falles wie auch die Aufklärung über das Thema finden unter einem drückenden Spannungsbogen statt. Mit seiner Figurenkonstellation und seiner Besetzung überzeugt „Schock“ in den Ensemble- wie in den Zweier-Momenten.

Und der „Tatort“ bringt einen jungen Schauspieler nach vorne: Aaron Karl. Der Sohn von Fritz Karl skizziert seinen David Frank als abgeklärten wie abgedrifteten Studenten, als einen Täter aus Überzeugung. Aber nicht kaltschnäuzig, nicht menschenverachtend ist er – David Frank ist ein schockierender Aufschrei.

„Tatort: Schock“, ARD, Sonntag, um 20 Uhr 15

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