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Kampagne in Sozialen Medien. Pharma-Managerin Julia (Lisa M. Potthoff) fiel einerFarbbeutelattacke zum Opfer.

© ZDF und Volker Roloff

Thema „compassionate use“: Schwierige Barmherzigkeit

Autor Jörg Tensing greift reale Fälle auf. Ein kluger Fernsehfilm über vorzeitige Medikamentenfreigabe bei tödlichen Krankheiten.

Auf der einen Seite: Eltern, die um das Überleben ihres Kindes kämpfen. Auf der anderen: Ein Pharmakonzern, der gerne Leben rettet – wenn sich damit Geld verdienen lässt. Die Sache scheint klar, im Fernsehfilm „Eine riskante Entscheidung“ gibt es die Guten und die Bösen und die klassische Auseinandersetzung zwischen Menschlichkeit und Profitgier. Erfreulicherweise kann man über diesen Fernsehfilm sagen, dass es sich das Buch von Jörg Tensing und die Inszenierung von Elmar Fischer („Unterm Radar“) eben nicht so einfach machen.

Die erste Überraschung besteht darin, dass die Geschichte zum großen Teil aus der Sicht einer Pharma-Managerin erzählt wird. Julia Schemmel (Lisa Maria Potthoff), die Geschäftsführerin von Berner & Bach, hat sich mit dem Börsengang in nur 18 Monaten ein ehrgeiziges Ziel gesetzt.

Um eine positive Erwartung bei Anlegern zu schüren, sorgt sie dafür, dass die hoffnungsvollen Ergebnisse einer noch nicht abgeschlossenen Medikamenten-Studie aus Südkorea publik werden. Über den Einwand ihres Forschungschefs, es gebe noch keine fundierten Erkenntnisse, setzt sie sich hinweg. („Eine riskante Entscheidung“, ZDF, Montag, 20 Uhr 15)

Die Entscheidung erweist sich als Bumerang, das Unternehmen findet sich bald am Pranger wieder. Michael Wagner (Christian Erdmann), Vater der neunjährigen Emily (Jasmin Kraze), hat von der Studie in Südkorea gelesen.

Emily leidet an der seltenen, unheilbaren Erbkrankheit NCL3, die auch „Kinderdemenz“ genannt wird und gegen die das neue Medikament von Berner & Bach helfen könnte. Wagner bittet darum, dass Emily die Arznei erhält, wird aber zurückgewiesen und startet eine Kampagne in den sozialen Medien gegen den Konzern.

Die Zuspitzung gerät etwas anstrengend

Autor Tensing greift reale Fälle auf: Auch in Deutschland ist der „compassionate use“, die Abgabe noch nicht zugelassener Medikamente in Härtefällen, möglich. Das Paul-Ehrlich-Institut listete Ende Januar sieben Arzneimittel in laufenden Härtefallprogrammen auf. Warum weist die Managerin im Film den Vater mit seinem allzu verständlichen Wunsch ab?

Das Dilemma mit der „Barmherzigkeit“ (engl.: compassion) besteht darin, dass Probleme, die beim „compassionate use“ im Einzelfall entstehen, die für die Zulassung notwendigen Studien verzögern könnten – somit wäre zwar Emily möglicherweise geholfen (oder auch nicht), aber viele andere Kinder müssten länger auf das Medikament warten.

„Dank“ der Pandemie ist stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen, dass wissenschaftliches Arbeiten Geduld und Gründlichkeit erfordert. Vielleicht trifft der Film also auf ein (zumindest in Teilen) aufgeschlosseneres Publikum als vor der Corona-Krise, die hier im Übrigen ignoriert wird.

Die Zuspitzung – mit dem plakativen Höhepunkt eines Talkshow-Duells von Julia Schemmel und Michael Wagner – gerät etwas anstrengend, doch Tensing und Regisseur Fischer vermeiden eindeutige Parteinahmen.

Zwar gibt es eine Art Happy End, das aber kein „Alles wird gut“-Versprechen enthält. „Eine riskante Entscheidung“ besitzt auch eine medienkritische Dimension. Alle Seiten arbeiten mit zweifelhaften Mitteln, um die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen.

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Tafari Ayuba (stark in ernsthafter Rolle: Tedros Teclebrhan), der Kommunikationschef von Berner & Bach, bemüht in der Auseinandersetzung einen Privatdetektiv, und Michael Wagner gibt seiner Tochter Regie-Anweisungen für einen dramatischen Zusammenbruch. Emilys Mutter Nicole (Annika Blendl) übernimmt zum Ende hin die Führung im Kampf der Familie.

Getragen wird der Film von Lisa Maria Potthoff, die hier alles andere als ein Karrierefrau-Klischee bedient. Schemmel lässt gegenüber männlichen Mitarbeitern keinen Zweifel aufkommen, wer das Sagen hat, erweist sich als widerstandsfähig und stark, aber keinesfalls als gefühllos.

So selbstverständlich wie Potthoff in die Rolle einer Spitzen-Managerin schlüpft, so überzeugend wirkt sie auch als eine Frau, die ihren Kinderwunsch für Ausbildung und Beruf lange Zeit hintangestellt hat, nun noch Mutter werden möchte.

Ihr Mann hat offenbar eingewilligt, bekommt aber kalte Füße. Die private Dimension rundet das Bild von der Managerin ab, ohne das eigentliche Thema in den Hintergrund zu drängen – ein bemerkenswert kluger, weitgehend unsentimentaler und dennoch bewegender Film.

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