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Bulgarien kämpft gegen Desinformation: „Seit dem Krieg hat sich die Propaganda verfünffacht“
Seit Jahren versucht der Kreml mit gezielten Falschinformationen Bulgarien zu beeinflussen. Jetzt versucht das Land, dem etwas entgegenzusetzen.
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Ein Streit auf offener Straße. Eine junge Frau und ein Mann sind offenbar zufällig in der Fußgängerzone von Burgas, einer Hafenstadt am Schwarzen Meer, aneinandergeraten. Es geht um den Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen auf Bulgarien.
Die Frau ist geflohen, die Regierung in Sofia hatte Ukrainer in Hotels einquartiert. Nun muss sie sich am Zufluchtsort gegen Vorwürfe verteidigen. Es kämen nur reiche Ukrainer mit teuren Autos, behauptet der Mann, während ärmere kämpfen müssten – den Wohlhabenden zahle sein Staat ein Leben im Ferienresort, statt sozial schwache Bürger im ärmsten EU-Mitgliedstaat zu unterstützen.
Es ist ein Narrativ, das seit Wochen in den sozialen Medien verbreitet wird. Das Ziel: Zwietracht säen in der bulgarischen Öffentlichkeit. Der Ursprung: russische und pro-russische Medien und Social-Media-Accounts.
Schon lange nutzt der Kreml Falschinformationen und Propaganda, um Staaten zu beeinflussen und Gesellschaften zu spalten. In Bulgarien fiel dies bislang besonders leicht. Dort sind die Menschen Russland zugewandt, Wirtschaftsverbindungen sind eng. Obendrein ist der Journalismus in keinem guten Zustand, Medien abhängig von der Werbung russischer Konzerne. Jetzt soll sich etwas ändern.

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Das ist nötig, denn die Lage ist prekär. Reporter ohne Grenzen führt Bulgarien auf Platz 91 von 180 seiner Rangliste der Pressefreiheit. Erst in diesem Jahr hat es den letzten Platz im EU-Vergleich abgegeben. Es fehle an Geld, Qualifikationen und Berufsethik, klagen Journalisten. Medienmacher gelten als korrupt, über die Jahre hat die Gesellschaft das Vertrauen in Medien verloren.
Von Russland vereinnahmt
In Regionen fehlen oft professionelle Informationsangebote, stattdessen lesen die Menschen, was in sozialen Netzen verbreitet wird; wo Trolle dazu beitragen, falsche Inhalte zu verbreiten. „Es ist unklar, wie Journalismus in die Regionen kommen kann“, sagt Alexandra Miltschewa, Spezialistin für Cybersicherheit und seit einem halben Jahr Abgeordnete der Regierungspartei „Wir setzen den Wandel fort“. Sie kennt das Problem aus dem eigenen Wahlkreis im Osten Bulgariens.
„Das Mediensystem hat nicht die Mittel, um dagegen anzukommen“, klagt Maria Jurukowa, Desinformationsspezialistin am Fachbereich Europastudien der Universität Sofia.
Ruslan Stefanow, Experte beim Thinktank „Center for the Study of Democracy“ in Sofia, spricht von einer „Vereinnahmung“ seines Landes von Russland. Bulgarische Medien arbeiteten bisweilen als „Erfüllungsgehilfen“, sagt Dimitar Wazow, in dem sie manipulative russische Darstellungen verbreiteten, etwa die angebliche Bedrohung Russlands durch den Westen. Die Kreml-Propaganda gelte als alternative Sicht, erklärt der Professor für Philosophie und Soziologie, der seit Jahren Desinformation aus Moskau beobachtet.

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Zudem gibt es eine historische Nähe der Bulgaren zu Russland, zurückzuführen auf die Befreiung vom Osmanischen Reich im späten 19. Jahrhundert und später die Zugehörigkeit zum Ostblock. Vom EU-Beitritt 2007 hatten sich viele Bulgaren mehr Wohlstand erhofft – doch Geld aus Brüssel versickerte in dunklen Kanälen. Viele Bulgaren fühlen sich abgehängt.
Hierauf zielt auch das Narrativ der Straßenszene aus Burgas: Die Regierung sorgt sich vermeintlich stärker um ukrainische Flüchtlinge als um bedürftige Bulgaren – das soll Neid schüren.
Krieg führt zu Radikalisierung
Die Enttäuschung der Bürger gibt Populisten Auftrieb. Ein Viertel der Gesellschaft gilt als empfänglich für Verschwörungstheorien. All das bietet fruchtbaren Boden, auf dem Propaganda und gezielte Falschinformationen gedeihen können.
Bulgarien sei schon lange „massiver, bösartiger russischer Propaganda ausgesetzt“, erklärt Stefanow. Jetzt „spielt sie verrückt“, sagt er. „Seit dem Krieg hat sich die Propaganda verfünffacht“, hat Professor Wazow registriert.
„Desinformation wurde lange nicht als Problem erachtet“, kritisiert Rumena Filipowa, Mitbegründerin des „Institute for Global Analytics“. Und das, obwohl Bulgarien „besonders vulnerabel ist“. Soziale Medien nennt sie ein „riesiges, pro-russisches Ökosystem“.
Der Überfall auf die Ukraine hat Bulgariens Regierung veranlasst, etwas gegen Moskaus hybride Taktiken zu tun. „Der Krieg führt zu Radikalisierung“, warnt Parlamentarierin Miltschewa, und damit zu weiterer Erosion von Vertrauen in die Politik und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Stefanow nennt Russlands Invasion einen „Weckruf“ für sein Land: „Zum ersten Mal gibt es entschlossene Schritte einer Regierung.“
Ob die erfolgreich sind, wird sich zeigen. Die Regierung steht unter großem Druck: Künftig soll ein Minderheitskabinett regieren, nachdem am Mittwoch die populistische Partei ITN die Vierer-Koalition verlassen hat. Ein vorzeitiges Ende der Regierung ist nicht ausgeschlossen.
Doch vorerst übernimmt im Kampf gegen Desinformation Boschidar Boschanow eine zentrale Rolle. Der 34-Jährige ist Minister für E-Government. Er sieht die ehemaligen Ostblockstaaten besonders von russischer Einflussnahme betroffen. Durch die geografische Nähe zu Russland wachse die Furcht unter der Bürger, ihr Land könnte das nächste Ziel des Moskauer Machtstrebens sein. „Desinformationen verstärken die Angst“, sagt Boschanow dem Tagesspiegel.

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Der Minister für elektronische Verwaltung setzt zum einen auf das europäische Gesetz über digitale Dienste, das Internetkonzerne in Zukunft verpflichten will, gegen Falschnachrichten vorzugehen. Darüber hinaus richtet Boschanows Behörde gerade eine Analyseeinheit ein, um Manipulationskampagnen zu überwachen und auf diese mit der Kommunikation von Fakten zu reagieren. Regulieren wolle er soziale und andere Medien nicht, so der Minister. Das wäre ein „sehr gefährliches Instrument der Zensur“.
Weiter anfällig für Propaganda
Dass Bulgariens Regierung endlich etwas übernimmt, lobt Stefanow, doch das Vorgehen reiche noch nicht aus. „Bulgarien ist weiter anfällig gegenüber Propaganda.“
Dagegen will auch Factcheck.bg etwas unternehmen. Es ist die erste unabhängige Redaktion, die sich auf die Aufdeckung von Falschinformationen spezialisiert. Die Plattform wurde vor einem Jahr gegründet, als eine Welle von Unwahrheiten über Corona das Land überschwemmte.
Fünf Journalisten überprüfen seitdem Behauptungen in sozialen und traditionellen Medien. Wenn bulgarische Politiker Narrative des Kremls verbreiteten, sähen viele Journalisten keinen Grund, Aussagen anzuzweifeln oder zu entlarven, erklärt Chefredakteurin Raliza Kowatschewa. Dann gebe es „Desinformationen aus offizieller Quelle“, beklagt sie.
Ziel sei es in erster Linie, Journalisten mit überprüften Informationen zu unterstützen. Mittlerweile werde ihre Arbeit aber auch von Bürgern stärker wahrgenommen. „Wahrscheinlich macht der Krieg den Menschen bewusst, wie gefährlich Desinformationen sein können.“
Zwetelina Sokolowa sieht das kritisch. „Fact-Checking hilft Journalisten, aber nicht der breiten Gesellschaft“, findet die Redakteurin von Mediapool, einer pro-westlichen und um journalistische Standards bemühten Nachrichtenseite.
Sie warnt: Werden Falschinformationen den Fakten einfach gegenübergestellt, dann zeige dies denjenigen, die der Propaganda glauben, „dass sie völlig verkehrt liegen – und grenzt sie weiter aus“. Die Öffentlichkeit werde damit weiter auseinander getrieben, fürchtet Sokolowa. „Das ist gerade jetzt, wegen des Krieges, noch gefährlicher als ohnehin.“
Austausch statt Ausgrenzung
Fakten prüfen hält sie zwar für wichtig, aber es sei „kein passendes Instrument, die Überzeugungen der Menschen zu ändern“. Stattdessen müsse mit Austausch versucht werden, das Vertrauen jener zu gewinnen, „die in ihrer eigenen Realität leben“.
Wie sich Stimmungen drehen, zeigen Umfragen aus den vergangene Wochen. Der Krieg hat die lange Zeit positiven Einstellungen der Bulgaren gegenüber Wladimir Putin von knapp 60 Prozent mehr als halbiert.
Die grundsätzliche Nähe aber besteht für viele fort. 30 Prozent der Bulgaren halten Russland weiterhin für den wichtigsten strategischen Partner, wie eine Umfrage des Thinktanks Globsec von Anfang Juni zeigt. Es wächst zudem eine Ablehnung gegenüber der Nato. Fast 40 Prozent würden im Fall eines Referendums für einen Austritt stimmen.
Weiteres Handeln, sagen Beobachter, ist nötig. Die Regierung wolle mehr tun und stärkere Aufmerksamkeit in Sachen Desinformation schaffen, erklärt Alexandra Miltschewa. Es sei wichtig, Bürger so zu rüsten, „dass sie Informationen selbst filtern können“. Im Kulturministerium werde nach Möglichkeiten zur Stärkung der Medienkompetenz gesucht. Dies funktioniere jedoch nur mittel- bis langfristig, sagt Minister Boschanow. „Man kann nicht in Kriegszeiten Medienkompetenz trainieren und erwarten, dass sie in den nächsten zwei Monaten funktioniert.“
Der Kampf gegen die Kreml-Narrative ist langwierig, zumal es nun darauf ankommt, ob die Minderheitsregierung ihre geplante Politik überhaupt noch umsetzen kann. „Es gibt jetzt den politischen Willen, Desinformationen zu entgegenzutreten“, sagt Jurukowa. Noch aber fehle eine genaue Vorstellung, wie das Vorgehen aussehen soll. Ruslan Stefanow gibt zu bedenken: Viele Bulgaren stünden Russland unkritisch gegenüber, weil Geschichtsschreibung, Schulen und Medien über Jahrzehnte „Gehirnwäsche“ betrieben hätten. „Veränderung geschehen“, sagt er, „aber nicht über Nacht.“
Die Recherche wurde unterstützt vom Medienprogramm Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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