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Fleischers Science-Fiction-Drama „Soylent Green“ zeigt eine Welt kurz vor dem Kollaps.

© Zadiq / Foto: Zadig Productions

„Soylent Green“, Film und Doku bei Arte: Der grüne Tod

Eine Arte-Dokumentation erinnert an den prophetischen Okö-Thriller „Soylent Green“ von Richard Fleischer aus dem Jahr 1973

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Vor 50 Jahren kam ein utopischer Film in die Kinos, der bis heute eine beklemmende Wirkung entfaltet. Der französische Filmautor Jean-Christophe Klotz, bekannt durch „Nürnberg und seine Lehre“, zeigt, wie der stilbildende Ökothriller unsere Gegenwart gespenstisch genau vorwegnahm: Sogar Gesichtsmasken tragen die Menschen in diesem Schocker aus dem Jahr 1973.

Edward G. Robinson in der Hauptrolle

Jeder, der ihn gesehen hat, erinnert sich an die Schlüsselszene. Sol Roth, ein alter Mann, verkörpert von dem sterbenskranken Edward G. Robinson, will nicht weiterleben in dieser trostlosen und verseuchten Welt. Eine Welt, in der Menschen in Hauseingängen schlafen und ihren elektrischen Strom – was uns möglicherweise auch bald bevorsteht – mit dem Fahrraddynamo erstrampeln müssen.

Resigniert nimmt der gramgebeugte Greis die staatlich subventionierte Möglichkeit der Euthanasie in Anspruch. Auf dem Sterbebett erleidet er einen buchstäblich „schönen Tod“. Bevor sich seine Augen für immer schließen, wird ihm auf der Leinwand noch einmal die längst verloren gegangene Natur gezeigt. Diese Bilder von Bächen und Seen, unterlegt mit den Klängen von Beethovens sechster Sinfonie, entfalten eine unvorstellbare Wucht.

In seiner Dokumentation zeichnet Jean-Christophe Klotz nach, in welchem politischen Klima der Film entstand und welche gesellschaftlichen Impulse er aufgriff. 1972 publizierte der Ökonom Dennis Meadows die einflussreiche Club-of-Rome-Studie „Die Grenzen des Wachstums“. Deren düstere Prognosen über Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Unterernährung und Rohstoffknappheit lieferten die Blaupause für den Film, der über die Vorlage des Sience-Fiction-Autors Harry Harrison weit hinausgeht.

Zudem fand 1972 in Stockholm die Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen statt. Thematisiert wurde das Thema Erderwärmung, das Richard Fleischers Ökothriller auch aufgreift. Der Klimawandel, den Klotz in seiner Dokumentation ins Zentrum rückt, bildet in diesem Film allerdings nur eine Fußnote. Der Thriller hat eine ganz andere Pointe, die einem heute noch den Magen umdreht.

Charlton Heston, damals im Zenit seiner Popularität, spielt einen Polizisten, der dem makaberen Geheimnis jenes geschmacksneutralen Nahrungsmittels auf die Spur kommt, mit dem die Massen in dieser sterbenden Welt buchstäblich abgespeist werden. Der grüne Keks, für den Bewohner der Metropole wie im Sozialismus Schlange stehen müssen, wird nicht aus Soya und Linsen (lents) – „Soy-Lent“ – hergestellt.

Soylent Green, so der amerikanische Originaltitel, besteht aus recyceltem Menschenfleisch: „Das kapitalistische System frisst sich selbst“ – so die plakative Lesart der Dokumentation. Ist ein Film jedoch so erfolgreich, dann lässt er sich nicht auf eine einzige Botschaft reduzieren. Nicht zufällig gibt Jean-Christophe Klotz Beispiele für die Vielschichtigkeit dieser beklemmenden Dystopie, in der Menschen industriell vernichtet werden.

Menschenmassen per Schaufelbagger entsorgt

In einer anderen Schlüsselszene werden Menschenmassen, die gegen das System auf die Straßen gehen, per Schaufelbagger entsorgt. Mit diesem krassen Bild spielt Richard Fleischer auf den Dokumentarfilm „Nazi Concentration Camps“ an, der im November 1945 bei den Nürnberger Prozessen gezeigt wurde: Zuvor vermochte sich niemand vorzustellen, wie Leichenberge in KZs mit Bulldozern in Gruben geschoben wurden.

Fleischers Film zeichnet eine in Agonie erstarrte Welt, die an einen totalitären Überwachungsstaat erinnert. Vor Augen geführt wird ein kaputtes System, das wie eine Mischung aus Orwells „1984“ und nordkoreanischer Mangelwirtschaft anmutet.

Überfluss genießt allein eine kleine, dekadente Verwaltungselite. Diese lebt in Luxus-Apartments, in denen Frauen buchstäblich zum Inventar gehören. Kapitalismuskritik ist sicherlich ein Aspekt dieser verstörenden Vision. Aber sollte man nicht auch die im Originaltitel genannte Farbe – „green“ – als Warnung auffassen?

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