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MEDIA Lab: Spin-Diktatoren
Zwei Medienwissenschaftler haben untersucht, wie autoritäre Herrscher um des Machterhalts Willen Lügengespinste in Umlauf bringen
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Der Zeitpunkt für diese Buchpublikation ist perfekt: Liefert doch Wladimir Putin tagtäglich neue Beweise, wie sich mit dreisten Lügen Einfluss gewinnen lässt – nicht nur im eigenen Land, wo sein Regime inzwischen alle relevanten Nachrichtenkanäle kontrolliert und brutal zensiert, sondern auch im Rest der Welt.
Der russische Ökonom Sergei Guriev, der an der Science Po in Paris lehrt, und sein Kollege Daniel Treisman, der an der University of California in Los Angeles als Politologe tätig ist, spüren den Lügengespinsten nach, die autoritäre Herrscher um des eigenen Machterhalts willen in Umlauf bringen.
[Sergei Guriev/Daniel Treisman: Spin Dictators, Princeton University Press 2022]
Damit das gelingt, beschäftigen diese „Spin-Diktatoren“ Heerscharen von sogenannten Spin-Doktoren, die auf allen verfügbaren Kanälen im Dienste ihrer Herren Propaganda verbreiten. Dabei sind auch „Roboter“ im Einsatz, also Bots, die in den sozialen Netzwerken die Botschaften vervielfältigen und variieren.
Die Autokraten weiten damit ihre Einfluss-Sphären seit Jahren erfolgreich aus und drängen auch weltweit die Pressefreiheit zurück – Jahr für Jahr registriert von „Reporter ohne Grenzen“ oder vom „Human Freedom Index“.
Eine beängstigende Einsicht
Die Leitmedien erwecken indes nicht nur hierzulande gerne den Eindruck, Desinformation sei vor allem ein Problem der Boulevardpresse und der sozialen Medien, und sie selbst hätten „alles im Griff“. Dass das seit Langem nicht mehr stimmt und obendrein Halbwahrheiten und Fake News inzwischen wohl eher öfter als vor zwanzig oder dreißig Jahren unfreiwillig auch von seriösen Medien verbreitet werden, um diese beängstigende Einsicht rankt sich das Buch.
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Es fokussiert auf all jene Autokraten, die nicht als „Angst-Diktatoren“ direkt Hitler, Stalin und Mao nacheifern, sondern mit einer „Light“-Version der kommunikativen und sozialen Kontrolle ihre Herrschaft festigen: Spin-Diktatoren bringen weniger zahlreich ihre Gegner um – und leugnen es dann obendrein vehement, wenn ihre Killerkommandos zugeschlagen haben.
Das Täuschungsmanöver besteht nicht zuletzt darin, dass sie den Eindruck einer „freien“ Gesellschaft aufrechtzuerhalten versuchen. Dazu manipulieren sie im eigenen Herrschaftsbereich Wahlen und lassen ein paar Oppositionsmedien weitermachen, drangsalieren aber all diejenigen Journalisten und Verleger, die in dieser winzigen Marktnische zu überleben versuchen. Dass Spin-Diktatoren nicht nur wiedergewählt werden, sondern häufig nach langen Jahren der Herrschaft zu „Angst-Diktatoren“ mutieren, dafür ist Wladimir Putin derzeit das beste, wenn auch nicht das einzige Beispiel.
Stephan Russ-Mohl
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