Medien: Tentakel-Monster und Riesenwellen – Pro 7 und RTL zerlegen Manhattan

Was hat diese kleine Insel nicht alles ausgehalten! Den schlimmsten Terroranschlag, den größten Börsencrash, Mietpreisexplosionen, übelste Straßenkriminalität, bizarres Wetter, Donald Trump. Doch all das ist wenig im Vergleich zu den Misshandlungen, die dem schönen Stadtbezirk Manhattan in seinem anderen Leben widerfahren: auf der Leinwand. Kein Ort dient der Filmindustrie so oft als Bühne wie die Insel im Herzen New Yorks. Und keiner wird so oft und fantasievoll in seine Einzelteile zerlegt. Heute Abend laufen gleich zwei Zerstörungsorgien: In „Spider-Man 2“ kämpft Tobey Maguire auf Pro 7 gegen ein Tentakel-Monster namens Doc Ock. Während der Held es schafft, die katastrophengestählte Bevölkerung von Manhattan ohne bauliche oder sonstige Kollateralschäden zu beschützen, bewirft ihn der Doc mit Autos und U-Bahnzügen. Mit viel Liebe zum Detail und krachenden Soundeffekten sieht man Beton, Stahl und Glas in allen Variationen aufeinanderprallen.

Doch das ist nur ein Spaziergang im Vergleich zu der Katastrophe, die Manhattan bei RTL heimsucht. In „The Day After Tomorrow“ setzt Roland Emmerich erst die komplette Stadt unter Wasser und verwandelt sie dann in eine Tiefkühltruhe. Auch L. A. und Tokio müssen in diesem Klimawandelhorrorfilm dran glauben, aber nur kurz. Dann geht es wieder nach Manhattan. Wo sonst kann man eine Hundertmeterwelle in Slow Motion auf die Freiheitsstatue zurollen lassen?

Es wäre doch interessant, mal ernsthaft zu untersuchen, wieso der Amerikaner seinen aufregendsten Stadtbezirk so gerne kaputt gehen sieht. Neid? Hat die religiöse Rechte Hollywood erobert und vernichtet mit Manhattan sinnbildlich das Zentrum des liberalen Amerika? Ist es der Wiedererkennungswert: Das Haus ist doch schon mal explodiert? Zur Beruhigung empfiehlt sich „Manhattan“ von ’79. New York bleibt heil, nur Woody Allen kriegt was ab.

„Spider-Man 2“, Pro 7; „The Day After Tomorrow“, RTL, beide 20 Uhr 15

Marc Felix Serrao