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Eine Bombenbastlerin? Thomas (Charly Hübner) wartet auf eine Antwort von Judith (Sophie von Kessel).

© ZDF/ARTE/Sandra Hoever

Thriller mit Charly Hübner: Verhör an Heiligabend

Der Terror-Ermittler, die Philosophin, das Thema Gewalt und die Frage, wann diese gerechtfertigt ist: Ein Stück von Daniel Kehlmann als Primetime-Thriller.

Ob die Welt nicht ein Traum sei. Oder: Gibt es uns wirklich? Fragt der Ermittler. Mal was Anderes als: Wo waren Sie gestern Abend? Und: Haben Sie ein Alibi? Der Fernsehfilm „Das Verhör in der Nacht“ ragt aus dem üblichen Krimi- und Thrillergenre heraus, was auch an der Vorlage liegt: das Theaterstück „Heilig Abend“ von Bestsellerautor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“).

Eine Philosophie-Professorin wird in Berlin auf dem Weg zum weihnachtlichen Familienessen aufgehalten und in ihrem Hotelzimmer verhört. Sie soll mit ihrem Ex-Mann einen Bombenanschlag geplant haben. Dem Polizisten bleibt nur wenig Zeit, um zu ermitteln, wo die Bombe, wenn es sie denn gibt, deponiert wurde, und diese zu entschärfen. Das Verhör entwickelt sich zum fesselnden Wortduell zwischen den beiden Kontrahenten.

Das verlangt hohe Aufmerksamkeit („Das Verhör in der Nacht“, Freitag, Arte, 20 Uhr 15). Ein 90-Minuten-Verhör. Schwer zu sagen, ob dieses dialoglastige Kammerspiel (Regie: Matti Geschonneck) auch ohne die beiden Hauptdarsteller so sehenswert wäre. Charly Hübner als Terror-Fahnder Thomas, mal nicht so laut, kratzbürstig und gegen den Strich gebürstet, wie sein Kommissar Bukow im Rostocker „Polizeiruf“. Und Sophie von Kessel als Judith, als Verdächtige, Frau des Wortes, fast unnahbar, stolz und unsicher zugleich.

Beide sehr intensiv und auf Augenhöhe. Ein Katz-und-Maus-Spiel, die Kamera (Judith Kaufmann) im Hotelzimmer nahe dran an den Widersachern.

Diskursfernsehen, kaum Bewegung. Es geht um die, seit Zeiten der „Rote Armmee Fraktion“, grundlegenden System-Fragen zwischen Staatsräson, struktureller Gewalt, Recht auf Widerstand oder gar Terror und Dschihadismus sowie um das rechte Maß und die rechten Mittel, mit denen sich der Staat im Verdachtsfall in das Leben einer Privatperson eingraben darf, um Schlimmeres zu vermeiden.

„Ganz ruhig. Ich tu’ Ihnen nichts“, sagt der Polizist. „Noch nicht.“

Der Zuschauer wird lange im Ungewissen gehalten. Hat Judith etwas mit dem geplanten Bombenanschlag zu tun, oder hat sie nicht? Ist der Ermittler auf einer falschen Fährte? Das Gespräch schwankt von ernster Vernehmung zu beiläufigem Geplänkel, am Ende sogar in flirtendem Ton. Stets schwingt die Frage mit: Wer ist der Stärkere?

„Ganz ruhig. Ich tu’ Ihnen nichts“, sagt der Polizist. „Noch nicht.“

Was er von Judith will, erfährt die Professorin zunächst auch nicht. Aber dass er alles über sie weiß: vom Fechtunterricht, den sie als Kind nahm, bis zu ihrer Einreise nach Chile mit gefälschten Pässen.

Judith beteuert ihre Unschuld, während Thomas hartnäckig versucht, ein Geständnis aus ihr herauszupressen. Auf der einen Seite ein Polizist, der die Menschen vor Terror beschützen muss, und auf der anderen Seite eine Professorin, für die die Ungleichheit in der Welt so groß und ungerecht ist, dass auch Gewalt als Widerstand gegen dieses System der Unterdrückung berechtigt ist.

Aus ihrer Haltung macht sie jedenfalls keinen Hehl. Um die Unterdrückten der Erde zu finden, müsse man nicht ins Ausland schauen. „Was, wenn es nicht das beste System ist?“ „Ich kann mir kein besseres vorstellen“, sagt Thomas.

Klar, das ist kein „Tatort“. Es wird Sartre zitiert. Manches ist zermürbend-trocken, wie der Titel des Seminars, dass Judith gibt: „Historische Theorien struktureller Gewalt“. Aber „Tatort“ gibt’s im Fernsehen genug. Kehlmann schaffe es, sehr viele wichtige Themen zu berühren, die mit unser aller Leben zu tun haben, sagt Sophie von Kessel im Presseheft. Von den vielen Systemfragen und Judith-Sätzen aus dem Stück bleibt erstaunlicherweise einer haften: Ob es nicht auch Gewalt sei, wenn der Fahrer eines SUV-Wagens einen Autounfall mit Todesfolge verursache?

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