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Endlich mal entspannt. Uwe Tellkamp im Gespräch mit der umstrittenen Buchhändlerin Susanne Dagen vor deren Buchhaus Loschwitz.

© ZDF und Ulf Behrens

Uwe Tellkamp auf 3sat: Tief im Graben

„Wir sollten mit vielen zu diskutieren versuchen, so lange es geht.“ Ein Film über Uwe Tellkamp, Dresden und den Streit um die Meinungsfreiheit.

Als Uwe Tellkamp erzählt, um was es in seinem dieser Tage veröffentlichten Roman „Der Schlaf in den Uhren“ geht, fasst der ihm gegenübersitzende Regisseur Andreas Gräfenstein diese Ausführungen so zusammen: „Also eine Geschichte, die mit dem Autor überhaupt nichts zu tun hat.“ Und Tellkamp bestätigt, „überhaupt nichts“, lacht, schüttelt den Kopf und schließt weiter lachend an: „nein, nein...“.

Es ist dies der Schluss von Gräfensteins Film über den „Fall Tellkamp – Streit um die Meinungsfreiheit“ – und der einzige Moment, in dem man den Dresdner Schriftsteller locker und gelöst erlebt. Entspannter noch als am Schreibtisch, beim Schreiben, da ist er hoch konzentriert, „da bin ich ganz bei mir“, oder wenn er der Buchhändlerin Susanne Dagen die Skizzen seines Romans zeigt. („Der Fall Tellkamp – Streit um die Meinungsfreiheit“, 3sat, am Mittwoch um 20 Uhr 15).

Zumeist ist er angespannt, aufbrausend, erregt. Er schimpft auf die westdeutsche Elite in Dresden, die ihn zum Beispiel an der Käsetheke meint „belehren zu müssen, wie ich zu denken habe und wie nicht“. Er regt sich über die „unfassbare Selbstgerechtigkeit der zugezogenen Westdeutschen auf“, über ihr vermeintliches Wissen darüber, „was der Islam ist und was uns gut tut: Ich will nicht als Faschist, Vollidiot und rechtes Arschloch hingestellt werden, das weise ich von mir, gerade weil mir Demokratie wichtig ist.“

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Und selbst als er bei einer Lesung aus seinem Buch „Das Atelier“ anfängt zu weinen, an sich eine rührende Szene, geht er im Anschluss daran den anwesenden „FAZ“-Journalisten Stefan Locke an und meint schließlich, sich mit diesem als Vertreter der von ihm in seinem Roman so genannten Hauptstrommedien und den von diesen eingerichteten Gesinnungskorridoren auseinandersetzen zu müssen: „In ihren Redaktionen sitzen Leute, die linksgrün bevorzugen.“

Anders als Tellkamp häufig meint, kommt er hier ausgiebig zu Wort, zur besten Sendezeit. Der Film trägt Züge eines Autorenporträts. Doch geht es Gräfenstein um mehr, eben um das freie Wort, die Meinungsfreiheit. Die sieht nicht nur Uwe Tellkamp in Gefahr, nachdem er bekanntermaßen 2018 bei einer Debatte mit Durs Grünbein über Geflüchtete seine Haltung offenbart und daraufhin meinungsstarken Gegenwind bekommen hatte.

Neben Tellkamp kommen in dem Film zum einen auch die Buchhändlerin Susanne Dagen und die Schriftstellerin Monika Maron zu Wort, andererseits, gewissermaßen als Antipoden, der angenehm gelassen wirkende Ingo Schulze und der Kunstkritiker Paul Kaiser, dazu der Theologe Frank Richter und die „Zeit“-Journalisten Martin Machowecz und Jana Hensel.

Störend wirkt dagegen eine etwas zu elegische Grundstimmung

Vor dem Hintergrund Dresdens und seinem speziellen Milieu zeichnet Gräfenstein den Riss nach, der auch 2022 noch durch Deutschland geht: „Geht das, worüber in Dresden diskutiert wird, nicht das ganze Land an?“ Er versucht dem Unverständnis auf die Spur zu kommen, mit dem West- und Ostdeutsche sich gegenüberstehen, dem Gefühl vieler Menschen im Osten, sich abermals in einer Diktatur zu wähnen, einer Meinungsdikatur.

All das gelingt diesem Film gut. Es waren schließlich Tellkamp und Dagen mit ihrem Buchhaus Loschwitz, in dem sie nicht zuletzt Identitäre lesen lässt, die mit ihren Aussagen und ihrem politischen Verhalten landesweite Debatten auslösten.

Während sich auch Dagen ausgiebig darstellen darf, sind insbesondere Machowecz und Richter um Ausgleich bemüht. Ingo Schulze wiederum ist jemand, der seine eigene Meinung hat, ohne sie als das Nonplusultra zu verstehen.

Störend wirkt dagegen eine bisweilen etwas zu elegische Grundstimmung. Es gibt viel Pianogetupfer und Geigengedräu, und so einige der Bilder sind eine Idee zu und zu und zu schön, beispielsweise von Dresdens Elbhang und Elbwiesen.

Oder auch von Mecklenburg-Vorpommern, wo Monika Maron lebt. Was für ein Himmel! Was für ein Land! Als es bei Maron in Krackow zu regnen beginnt, ruft sie mehrmals ihren Hund Bonnie, was für eine Idylle!, um sich schließlich drinnen dagegen zu wehren, in ein rechtes Lager gesteckt zu werden.

Von „Verfestigung der Kommunikation“ spricht Paul Kaiser; Martin Machowicz dagegen wünscht sich, „dass wir möglichst häufig verhindern, dass sich Leute zurückziehen in ihre Schützengräben. Wir sollten mit vielen zu diskutieren versuchen, so lange es geht.“

Gräfensteins Film macht genau das, das zeichnet ihn aus. Doch so schön verschmitzt locker Tellkamp am Schluss ist, so andächtig die Szenen am Schreibtisch sind – dass er aus seinem Graben herauskommt, diesen Eindruck bekommt man nach den 90 Minuten nicht.

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