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Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: Online-Portale für Nutzerkommentare verantwortlich

Betreiber von Online-Portalen sind für beleidigende Kommentare auf ihren Seiten verantwortlich. Das bestätigte jetzt der Europäische Gerichtshoffür Menschenrechte.

Für zahlreiche Betreiber von Internetportalen gehört es zur täglichen Arbeit, beleidigende und hetzerische Kommentare auf ihren Seiten zu löschen. Dass sie dazu tatsächlich auch verpflichtet sind, hat nun am Dienstag der Europäische Gerichtshof (EGMR) für Menschenrechte in Straßburg entschieden und damit die deutsche Rechtssprechung bestätigt.

„Hetze und direkte Drohungen gegen die körperliche Unversehrtheit"

Bei dem EGMR-Urteil ging es um einen Fall aus Estland: Ein Fährschiffer war dort von anonymen Nutzern einer großen estnischen Nachrichtenwebsite namens Delfi angefeindet worden. Die Nachrichtenseite hatte die anstößigen Kommentare aber erst entfernt, nachdem Anwälte des Schiffers dies gefordert hatten. Dies ist das gängige Verfahren auch in Deutschland, was durch die Straßburger Richter im Prinzip bestätigt wurde. Allerdings hätten die Kommentare auf der estnischen Website „Hetze und direkte Drohungen gegen die körperliche Unversehrtheit von Personen“ enthalten, so die Richter. In einer solchen Situation könnten die Betreiber von Portalen verpflichtet werden, die Drohungen auch ohne einen Hinweis von Betroffenen zu entfernen.

Filter für vulgäre Begriffe

Zwar verlangte das Gericht nicht, dass Webseiten alle Wortmeldungen von vornherein filtern müssten. Das würde die Meinungsfreiheit auf Nachrichtenseiten zu stark einschränken. Allerdings wäre Delfi nach Meinung der Richter durchaus in der Lage gewesen, schneller zu handeln. Denn der Betreiber habe die technischen Möglichkeiten gehabt, Kommentare zu kontrollieren. Es gäbe ein automatisches Löschsystem, um vulgäre Begriffe herauszufiltern, und ein Warnsystem, mit dem andere Nutzer die Netzverwalter über Beleidigungen informieren können. Außerdem habe die Nachrichtenseite auch in anderen Fällen von sich aus Kommentare gelöscht. Somit übten die Betreiber ein gewisses Maß an Kontrolle über den Kommentarbereich aus. 

Ehssan Khazaeli von der Berliner Kanzlei Werdermann von Rüden sieht das Urteil des EGMR im Einklang mit Paragraf 10 des Telemediengesetzes. Demnach sind Diensteanbieter für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, "nicht verantwortlich, sofern sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird." Oder "sie unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben". Um tatsächlich "unverzüglich tätig" werden zu können, hätten die meisten Betreiber großer Internetportale - so wie Delfi offensichtlich auch - ein Filtersystem für Schlagwörter eingebaut, dass sie bei beleidigenden Kommentaren alarmiert.

"Beleidigungen müssen geahndet werden"

Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des IT-Branchenverbands Bitkom, begrüßte das Urteil aus Straßburg: "Beleidigungen oder gar Hetze und Drohungen haben im Internet nichts zu suchen. Sie müssen in der digitalen Welt ebenso geahndet werden wie in der analogen Welt." Es sei bei vielen Portalen üblich, Kommentare und Einträge erst nach Durchsicht durch einen Redakteur freizuschalten oder im Nachhinein zu löschen, sofern die bekannten Regeln des Portals verletzt wurden. "Man kann Portalanbietern aber nicht auferlegen, für die auf ihren Plattformen veröffentlichten Text, Bilder oder Clips inhaltliche Verantwortung zu übernehmen oder gar Zensur auszuüben. Dies würde einen massiven Eingriff in die Informations- und Meinungsfreiheit bedeuten." Dies würden die Straßburger Richter offenbar genauso sehen.   

Das estnische Portal Delfi hatte vor dem Gerichtshof geklagt, weil es sein Recht auf Meinungsfreiheit verletzt sah. Diese Klage haben nun die 17 Richter der großen Kammer mit 15 gegen zwei Stimmen zurückgewiesen. Das Urteil der estnischen Gerichte sei „eine berechtigte und angemessene Beschränkung der Meinungsfreiheit des Portals“ gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung. Die vom estnischen Gericht verhängte Geldstrafe von umgerechnet 320 Euro sei nicht übertrieben. Sonja Álvarez (mit dpa)

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