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Zwei Schülerinen und ein Schüler lesen in der Schulbibliothek einer Schule Bücher.

© picture alliance / Arne Dedert

„Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ und Co.: Wie diskriminierende Kinderlieder unsere Gesellschaft prägen

Nicht nur in Kinderbuch-Klassikern, auch im Musikunterricht finden sich rassistische Songs. Immer lauter wird der Ruf nach Aufklärung.

Seit Jahrzehnten wird „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ in Kitas und Grundschulen gesungen. Einfacher Text, eingängige Melodie und dann noch der Spaß mit der Vokalverschiebung zu „Dra Chanasan“ oder „Dri Chinisin“.

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Für Frank Joung war das Lied nie lustig. „Irgendwann merkte ich, dass die anderen Kinder das Lied auf mich beziehen. Ich dachte: Was habe ich mit Chinesen zu tun?“, erinnert sich der 45-Jährige. Er habe nicht mehr mitgesungen, die anderen hätten gelacht. „Das war mir peinlich, ich war genervt und ärgerte mich.“ Joung wurde in Hannover geboren, seine Eltern stammen aus Korea. 2016 gründete er den Podcast „Halbe Katoffl“, eine Gesprächsreihe mit Deutschen mit nicht-deutschen Wurzeln.

Für nicht-asiatische Menschen wäre es keine große Sache, das Lied nicht mehr zu singen“, meint Joung. Das Veralbern der Sprache - auch in anderen Kinderreimen wie „Ching Chang Chong“ - sei verletzend.

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Das sieht der Musikethnologe Nepomuk Riva genauso. „Es ist eine relativ überschaubare Anzahl von Liedern, die ich als kritisch betrachte“, sagt der Forscher von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH). Ihm sei es ein Rätsel, warum diese Lieder noch in Büchern auftauchten.

„Bei uns ist diskriminierungs-unsensible Sprache in Kinderliedern selbstverständlich immer ein Thema“, teilt der Carus-Musikverlag mit. „Wir wägen immer sehr bewusst ab, und wenn wir ein Lied wie „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ in eine Edition aufnehmen, dann geschieht das immer mit einer entsprechenden Einordnung beziehungsweise einem Hinweis.“

Der Ravensburger Verlag hingegen hat entschieden, die „Drei Chinesen“ komplett wegzulassen. Dies werde in Nachdrucken, Neuauflagen und neuen Liederbüchern umgesetzt.

Der Kanon „C-A-F-F-E-E“ ist in seiner ursprünglichen Version laut Riva ebenfalls rassistisch - hier gibt es inzwischen Versionen, in denen Begriffe ersetzt wurden, die Türken und Muslime diskriminieren.

Das Lied „Ein Mann, der sich Kolumbus nannt“ wurde wie auch die „Drei Chinesen“ in den 1930er Jahren - der Zeit des Nationalsozialismus - populär.

Im Kolumbus-Lied erscheint die „Entdeckung Amerikas“ wie ein lustiger Spaziergang des Seefahrers, als Pointe schreien die erschreckten „Wilden“: „Wir sind entdeckt!“ Aus Rivas Sicht kann man das Lied auch nicht mit Ironie rechtfertigen. „Dazu müsste man wissen, wie es wirklich war.“ Von Umsiedlungen, Vertreibungen und Hetzjagden auf indigene Völker ist keine Rede. Auch das rockige Mitgröl-Lied „Die Affen rasen durch den Wald“ hält Riva für höchstproblematisch, zumal die Affen in Abbildungen in Liederbüchern vermenschlicht werden.

Kinder übernehmen Wertung aus Büchern

Die Berliner Fachstelle Kinderwelten setzt sich seit rund 20 Jahren für vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung in Kitas und Grundschulen ein. „Schon ganz junge Kinder nehmen diskriminierende Äußerungen und Handlungsweisen wahr“, sagt Mitgründerin Petra Wagner. „Sie entnehmen Liedern oder Büchern Botschaften über sich und ihre Familien, etwa dass sie weniger wert oder weniger wichtig seien.“

Es gebe Einseitigkeiten und Auslassungen. Prinzessinnen sind im Großteil der Kinderbücher immer noch weiß und blond. Das Kinderrecht auf Schutz vor Diskriminierung müssten Kitas wahrmachen, sagt Wagner. Die Teams könnten sich etwa durch Fortbildungen auf den Weg machen.

Einsicht scheint "Frage der Empathie"

Im September hatte die Volkswagenstiftung in Hannover eine Veranstaltung zum Thema Rassismus in Kinderliedern organisiert. Die Reaktionen im Publikum seien gespalten gewesen, erzählt Riva. Teilweise herrschte auch Unverständnis, warum bestimmte Lieder nicht mehr gesungen werden sollten. „Es ist eine Frage der Empathie“, meint der Wissenschaftler. Es gehe auch darum, sich in die Betroffenen hineinzuversetzen.

[Lesen Sie auch: Männliche Machtphantasien: Warum „Die drei ???“ und TKKG nichts für Kinder sind (T+)]

Rosa Fava von der Amadeu Antonio Stiftung plädiert dafür, Diversität abzubilden - in Büchern, Spielen und Liedern. In einem Lied zum Alphabet könnte das „O wie Ostern“ um „Ch für Chanukka“ und „R wie Ramadan“ ergänzt werden, schlägt die Erziehungswissenschaftlerin vor. Das Lied „Alle Kinder lernen lesen“, das oft bei Einschulungen gesungen wird, enthalte rassistische Bezeichnungen für bestimmte Gruppen.

„Viele Menschen kennen das Konzept von Alltagsrassismus gar nicht, sie denken bei Rassismus gleich an Nazis oder Neo-Nazis“, sagt Fava. Dabei könne man auch unbewusst rassistische Bilder weitertragen. Es gehe darum, das Verletzende an Anredeweisen oder Bildern zu erkennen, selbst wenn diese mit Spaß an den entsprechenden Liedern und positiven Kindheitserinnerungen verbunden seien. (dpa)

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