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Tödliche Folgen eines Junggesellenabschieds. Renata (Ulrike Kriener) und Peter Gattner (Bernhard Schütz, r.) müssen ihren Sohn Finn identifizieren. Foto: ZDF

© ZDF und Barbara Bauriedl

ZDF-Drama mit Ulrike Kriener: Fremd zieh’ ich wieder aus

Ein Film geht unter die Haut: Das Schuld-und-Sühne-Drama „Winterherz – Tod in einer kalten Nacht“ mit Ulrike Kriener.

Der Philosoph Jürgen Habermas schreibt irgendwo, die Ideologie des Kapitalismus sei gegenüber den Grundrisiken des Lebens, Krankheit, Schuld und Tod, „tendenziell trostlos“. Wer an diesem Montag adventlich gestimmt durch das Abendprogramm des ZDF wandert, begegnet nicht dem üblichen Süßkram, sondern einem Ernst und einer schauspielerischen Intensität, wie man die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen jenseits von Netflix gar nicht mehr erwartet.

Wir Zuschauer gehen mit auf eine Winterreise zu Tod, Schuld und Trostlosigkeit [„Winterherz – Tod in einer kalten Nacht“, Montag, ZDF, 20 Uhr 15]. Wer möchte, mag sich an Schuberts Leiermann und die Verzweiflungszeilen „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus“ erinnern. Es liegt so viel Schnee, so viel innere Einsamkeit in dieser Fernseh-Tragödie.

Ein Brüderpaar, Mike Gattner, ein junger Polizist (Anton Spieker) und der erst 17jährige Finn (Jerimias Meyer), sind zu einem Junggesellenabschied in eine Discothek gefahren. Vater Gattner (Bernhard Schütz) hielt Finn für amüsiertauglich, die Mutter (Ulrike Kriener), nicht. Mike soll wenigstens gut auf seinen Bruder aufpassen.

Bei der in der Nähe wohnenden Familie Vollert herrscht Aufbruch. Deren Sohn Maxim (Franz Pätzold) feierte dort mit Ehefrau Sylvie (Laura de Boer) seine Ernennung als Richter auf Probe ans Landgericht. Das Paar will trotz der Gläser Wein noch nach Hause fahren. Gefährlich rieselt draußen der Schnee. Des Menschen Wille aber ist sein törichtes Himmelreich, die Schicksalstragödie bekommt ihre Chance.

Und wie. Finn, der Benjamin der Gattners, torkelt besoffen durch die Nacht, sein Bruderhüter Mike ist mit dem Jugendschwarm Valerie (Amanda da Gloria) zuvor davon gefahren. Es kommt wie absehbar: Der angetrunkene Richter Maxim erfasst im Schneegestöber mit seinem Auto den blitzeblauen Finn.

Das glänzende Drehbuch von Susanne Schneider („Solo für Klarinette“, „Bella Block“) hat sein Hauptthema erreicht: Wie nahezu unbezähmbar die Krake Schuld zivilisatorische Sicherheiten einreißt, wie trostlos sie den Menschen macht, wie sie die Reue auffrisst.

Der Richter schweigt und verdrängt

Schuld martert den Menschen im Konjunktiv, als Abfolge von ohnmächtigen Hätte-Sätzen. Hätte sich doch die Mutter mit ihren Befürchtungen durchgesetzt, hätte sich Finn doch nicht sinnlos besoffen, hätte der Bruder Mike doch aufgepasst.

Hätte doch die Beifahrerin Sylvie den angehenden Richter Maxim davon abgehalten, den angefahrenen Finn – aus Angst, als Alkoholfahrer entdeckt zu werden – in einem abgelegenen eisigen Bushaltestellenhäuschen auszusetzen, sodass dieser später an seinen inneren Verletzungen stirbt.

Hätte das Paar doch die Polizei informiert. Hätte doch wenigstens der Bruder Mike Finns verzweifelten Anruf entgegengenommen, statt dem Liebesverlangen nach Valerie ungestört nachzugeben. Hätte, hätte, Schicksalskette. Als Finns Leiche geborgen ist, fesselt sie die Akteure weiter.

Der Richter schweigt und verdrängt, seine Frau findet nicht mehr zur Wahrheit des Unfallgeschehens, der Polizist und säumige Bruder des Opfers stürzt sich in die Aufklärung dessen, was in der Nacht wirklich geschehen ist. Und fängt dann eine bizarre Affäre mit der Richtersfrau Sylvie an, der Mitwisserin. Sollte da je Liebe im Spiel sein, sie stürbe sogleich im Frost der Schuld. Sicher auch, kein Richter wird die Verkettungen lösen können.

Nichts in diesem von Johannes Fabrick („Unsichtbare Jahre“) inszenierten und von Helmut Pirnat wunderbar gesichtsfixiert fotografierten Film entgleitet in den Überschwang aus falschem Pathos. Kein Trost nirgends. Kein Advent. Nur Kälte. Fremd zieht der Zuschauer wieder aus. Klasse.

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