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Die "Missy"-Mitbegründerin Stefanie Lohaus.

© Paula Winkler

Zehn Jahre "Missy Magazine": Spielarten des Feminismus

Zehn Jahre Pop und Politik aus feministischer Perspektive: Das „Missy Magazine“ will Feminismus für alle machen - und grenzt sich so auch von der „Emma“ ab.

Stefanie Lohaus sitzt in dem Berliner Redaktionsraum ihrer Zeitschrift und wundert sich. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass das funktioniert hat“, sagt sie. „Eigentlich war das eine von diesen Ideen, die sowieso nie Wirklichkeit werden.“ Diese Idee, die Lohaus und ihrer Freundin Chris Köver in der Silvesternacht 2007/2008 kam, war das „Missy Magazine“. Eine Zeitschrift über Feminismus, Pop und Politik nach US-amerikanischem Vorbild. Die beiden holten Sonja Eismann an Bord und brachten das erste Heft im Selbstverlag heraus. Heute, zehn Jahre später, behauptet sich das „Missy Magazine“ am Zeitschriftenmarkt und konnte die Auflage sogar noch steigern, von 15 000 auf 25 000 Exemplare.

Zielgruppe der „Missy“ seien Menschen, die Lust auf Popkultur und Politik aus feministischer Perspektive haben, sagt Lohaus. Dabei lesen manche die Zeitschrift als reines Kulturmagazin, während andere das Heft vor allem wegen der politischen Inhalte kaufen. Die „Missy“ beschäftigt sich nicht nur mit Sexismus, sondern mit sozialen Ungleichheiten jeglicher Art, darunter Rassismus oder Klassismus. „Intersektional“ nennt man diese Art des Feminismus, der die Überschneidungen von verschiedenen Diskriminierungsformen berücksichtigt.

Viel Lohn springt für die Redakteurinnen nicht heraus

Die „Missy“-Gründerinnen kamen aus demselben Milieu, waren ähnlich alt, weiß und heterosexuell. Inzwischen ist die Redaktion größer und diverser, was sich in den Themen widerspiegelt. Der Fokus auf Intersektionalität grenzt die „Missy“ von dem ältesten feministischen Magazin Deutschlands ab, der 1977 von Alice Schwarzer gegründeten „Emma“.

Stefanie Lohaus sieht kritisch, dass die „Emma“ den Fokus allein auf Geschlecht als Diskriminierungsfaktor legt, ohne auf andere Formen der Unterdrückung zu achten: „Diese Sichtweise halte ich für veraltet.“ Viele Frauen, die auch rassistisch diskriminiert werden, würden so ausgeschlossen. Gerade im Bezug auf die Islamdebatte sei dieser eingeschränkte Fokus gefährlich: „Es geht nur um Geschlecht, alles andere ist nicht so wichtig. Die Bösen sind die muslimischen Männer.“ Mit so einer Argumentation nehme man an rassistischen Diskursen teil.

Die aktuelle Ausgabe des "Missy Magazine"
Die aktuelle Ausgabe des "Missy Magazine"

© promo

Die „Missy“-Redakteurinnen wollen das anders machen. Das Heft, das alle zwei Monate erscheint, ist eine Herzensangelegenheit. Viel Lohn springt nicht heraus. Zwar steigen die Einnahmen, doch auch die Kosten werden höher. Für Stefanie Lohaus ein Grund, sich langsam aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen, nur noch als Herausgeberin zu fungieren.

Dass die „Missy“ im Selbstverlag erscheint, macht die Sache nicht leichter. Wahre Unabhängigkeit lasse sich nur so bewahren, sagt Lohaus. Neben Anzeigen finanziert sich die Missy auch über Crowdfunding. Das ist nötig, weil das Heft selbst nicht zu teuer werden soll. Wohlhabendere Leserinnen und Leser können das Magazin so unterstützen, damit der Preis niedrig bleibt. Derzeit kostet eine Ausgabe 5,50 Euro.

Der Feminismus boomt - auch in den Mainstreammedien

Die Konkurrenz für die „Missy“ ist größer geworden. Feministische Online-Formate wie „Edition F“ oder „Broadly“, große Zeitungen publizieren feministische Texte, der „Spiegel“ hat zum einjährigen MeToo-Jubiläum eine Frauenausgabe kreiert. Stefanie Lohaus sieht diese Entwicklung positiv. „Das zeigt, dass es Interesse gibt.“ Es gebe schließlich auch fünf verschiedene Auto-Magazine, warum nicht genauso viele feministische?

Anfangs sei Lohaus ängstlich gewesen, dass die „Missy“ obsolet werden könnte. Für sie ist das Gegenteil eingetreten. „Wir sind Teil eines Diskurses, der relevanter geworden ist.“ Das neue Mainstream-Interesse am Feminismus ermögliche es der „Missy“, avantgardistischer zu werden. „Wir wollen die Gesellschaft ja verändern“, sagt Lohaus. Ob die derzeitige Sichtbarkeit feministischer Themen wie MeToo einen wirklichen Wechsel bringt, wird sich zeigen. Lohaus glaubt nicht daran, dass Geschichte linear verläuft und es immer weiter bergauf geht. Das zeige der derzeitige Aufstieg des Rechtspopulismus. „Nur weil jetzt alle Feminismus machen, wird die Welt nicht gleich gerechter.“ Gleichzeitig könnten Frauen heute viel freier leben als noch vor 100 Jahren.

Diesen Weg will die „Missy“ mit neuen Formaten vergrößern. Demnächst startet das Magazin ein Social-Video-Format auf Facebook und Instagram. Den Printjournalismus will Stefanie Lohaus aber nicht missen. „Dass Menschen lang überlegte, kuratierte Artikel lesen wollen, das wird sich halten.“ Ob als Printmagazin oder als E-Paper: Die „Missy“-Gründerin ist sich sicher, dass es das Magazine auch in zehn Jahren noch geben wird.

Veranstaltung „Believe the Hype: 10 Jahre Missy Magazine“, mit Vorträgen von Noah Sow und Encarnación Gutiérrez Rodríguez, Konzert von Ebony Bones und anschließender Party, 20. Oktober ab 16 Uhr im HAU

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