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Mit diesem Schild mit der Aufschrift "Heute Statt Hände schütteln - ein Lächeln schenken" wurden in der vergangenen Woche Besucher der Medientage Mitteldeutschland begrüßt.

© Frank May/dpa

Coronavirus und die Medien: Zu viele „Bahnhofsdurchsagen“?

Liveticker zum Coronavirus. Warum Risikoforscher und Medienwissenschaftler vor „Panik in der Vollkaskogesellschaft“ warnen.

Stand:

Nach dem Klima- und Greta-Hype ist dem Coronavirus zumindest medial derzeit nicht zu entrinnen – es sei denn, man folgt dem Bestsellerautor Rolf Dobelli und verordnet sich selbst eine Nulldiät, eine totale Nachrichtensperre: Kein Fernsehen, kein Radio, keine Zeitung, kein Internet.

Das wirft die Frage auf, wovor wir uns mehr ängstigen sollten: Vor dem Coronavirus, das sich zwar in atemberaubenden Tempo ausbreitet, das fraglos gefährlich, aber für die meisten von uns nicht lebensbedrohlich ist? Oder eher vor der Corona-Panik, vor Hamsterkäufen und leeren Regalen im Supermarkt, vor dem Crash an den Finanzmärkten und unterbrochenen Lieferketten in der Realwirtschaft?

Sind es Überreaktionen, wenn in China Millionenstädte unter Quarantäne gestellt und in Italien die Schulen geschlossen wurden? Oder war es gefährliche behördliche Schlafmützigkeit, wenn in Deutschland trotz der bereits absehbaren Verbreitung des Virus –  und übrigens auch trotz der Attentate in Hanau und Volkmarsen, die eigentlich jedwede Lust auf närrisches Treiben hätten ersticken müssen – der Karneval nicht abgesagt wurde? Und auch danach weder die politischen Aschermittwochs-Bierzeltgelage noch die Berliner Filmfestspiele?

Mahnung zu mehr Gelassenheit

Auch wenn derzeit niemand die Antwort auf solche Fragen weiß, ermahnen der Berliner Risikoforscher Gerd Gigerenzer und viele seiner Kollegen zu mehr Gelassenheit. Gigerenzer verweist auf die Vorerfahrungen mit Rinderwahn, Sars, der Vogel- und der Schweinegrippe und er erinnert daran, dass wir es jährlich mit Tausenden Grippetoten zu tun haben. In deutschen Krankenhäusern kämen jährlich zudem 18 000 Tote durch Behandlungsfehler ums Leben.

Wir müssten schlichtweg lernen, mit der Ungewissheit zu leben. Ganz ähnlich argumentiert der Schweizer Medienforscher Matthias Zehnder: Wie Medien in Pushnachrichten und Livetickern die Ansteckungen zählten, erinnert ihn vielfach an „Bahnhofsdurchsagen“. Das Resultat sei „Panik in der Vollkaskogesellschaft“. Das größte Problem ist wohl im Moment nicht das Virus, sondern die von medialem Trommelfeuer geschürte Angst.

Stephan Russ-Mohl

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