
© Swype
Gesellschaft: Natur auf meiner Haut
Vor langer Zeit wurde in Deutschland die Naturkosmetik erfunden – jetzt boomt sie wieder. Warum sich jetzt so viele Algen, Pflaumenkernöl und Alpenblüten ins Gesicht schmieren.
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Seit Neuestem schmiere ich mir Seetang, zerstoßene Alpenblüten und Birkenöl ins Gesicht. Das riecht ein bisschen wie vergorene Blumenwiese. Aber dafür ist es reine Natur, in der Creme sind laut Inhaltsangabe nicht das kleinste bisschen Parabene, Tenside, Silikone und Erdöl enthalten, wie das in herkömmlicher Pflege oft der Fall ist. Die Zusatzstoffe konservieren, fetten, machen die Haut durchlässiger, können aber über die Haut in den Körper gelangen. In Naturkosmetik, jedenfalls der zertifizierten, dürfen solche Stoffe nicht verwendet werden.
Nachdem das Bewusstsein für gutes und gesundes Essen in den vergangenen Jahren sehr viel größer geworden ist, ist jetzt die Haut dran. Gerade erlebt Naturkosmetik einen gewaltigen Schub. Das berichtet auch Mareike Peters von Naturkosmetik München. Ihr Unternehmen existiert offiziell erst seit 2019. Vorher verkaufte sie Boxen mit Zutaten zum selber Anrühren. Jetzt plant sie nach München ihr zweites Geschäft in Hamburg, obwohl sie eigentlich ein online basiertes Unternehmen ist.
„Die Haut ist ein Absorbierungs- und Ausscheideorgan“, sagt Mareike Peters mit so großer Begeisterung, dass man sofort mit ihr eine Creme anrühren will. Das macht sie tatsächlich schon seit dem sie 14 Jahre alt ist. Ihre Eltern besitzen einen Barfußpark, sie sagt, das prägt. Damals hatte sie unreine Haut und sie suchte und rührte so lange verschiedene natürliche Zutaten zusammen, bis ihre Pflege genau die richtige Wirkung hatte. „Bei mir kommt in alles Rosskastanie rein“, sagt sie. In ihrem 14 Quadratmeter großen Berliner Studentenzimmer nahm die Hälfte ein Edelstahltisch ein, auf dem sie nebenher ihre Cremes und Tinkturen mischte. So richtig cool fand sie ihr Hobby nicht: „So ein bisschen wie Stricken, nichts womit man angibt.“
Das dürfte sich gründlich geändert haben, in ihrem Münchner Laden ist auch ihr Labor untergebracht, in dem sie öffentlich Pflanzenöle zusammenmischt. Am liebsten verwendet sie regionale Zutaten wie Kamille, Leinsamen und Pflaumenkernöl. Ihre Produkte passen perfekt in den neuen, nachhaltigen Lifestyle, in dem das Anrühren von Kosmetik zu einer sehr großen Nische geworden ist. 20 Prozent von Mareike Peters Kundinnen rühren selbst, die restlichen 80 Prozent kaufen die fertigen Cremes in Glasbehältern, die eigentlich als Flakons für Parfüm gedacht waren.
Naturkosmetik ist kein geschützter Begriff. Jeder, der auch nur einen Hauch Natur in seine Tiegel füllt, kann diesen Begriff nutzen. Trotzdem ist er viel wert, vor allem wenn man ihn mit einem Zertifikat versieht. Die bekanntesten sind „Kontrollierte Naturkosmetik“ und „Cosmos Organic“.
Zweiteres verwendet auch das Berliner Kosmetikunternehmen i+m. „Die Zertifikate sind wichtig, weil es wahnsinnig viele Trittbrettfahrer gibt“, sagt der Geschäftsinhaber Jörg von Kruse. Dabei gehört i+m zu den Pionieren der Naturkosmetik, die quasi in Deutschland erfunden wurde. Mit den ersten Bioläden in den Siebzigerjahren entstanden viele Marken, zu denen auch i+m gehört. Weleda, heute globale Marktführerin für Naturkosmetik und Dr. Hauschka wurden sogar vor dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Auch bei diesen Firmen gingen die Umsätze in den vergangenen Jahren deutlich nach oben.
Jörg von Kruse ist ein skeptisch, dass sich das Coronajahr wirklich positiv auswirken wird, er glaubt eher das „Fridays for Future“ für die steigende Kurve verantwortlich ist. „Im vergangenen Jahr ist die dekorative Kosmetik komplett zusammengebrochen und die Leute haben sich weniger gewaschen, weil sie weniger rausgegangen sind“, sagt von Kruse.
Dass seiner Firma heute so gar nichts „Ökiges“ mehr anhaftet, liegt daran, dass i+m nach einer Insolvenz 2006 neu ausgerichtet wurde. Vor ein paar Jahren bekamen die runden Behälter ein neues Design verpasst. Sie leuchten jetzt in bunten Farben und sind sofort zu erkennen – auch im Regal der Drogeriekette dm, dort wird i+m seit vier Jahren verkauft. Auch wenn das den Umsätzen natürlich einen gewaltigen Schub gegeben hat, ließen andere die Marke fallen. „Einige Bioläden haben uns aus dem Sortiment geworfen“, erzählt von Kruse. Aber er will ja auf keinen Fall ein Luxusprodukt machen. Dass in Deutschland im Schnitt Naturkosmetik sehr viel günstiger ist als im Ausland, liegt auch an den Wurzeln der Bewegung.
Mit denen hat Ebru Tuna so gar nichts zu tun. Sie wollte sich schlicht das Leben einfacher machen. Im vergangenen März brachte sie genau vier Produkte unter dem Namen Swype auf den Markt: eine Reinigung, eine Feuchtigkeitscreme, ein Serum, das strafft, und eine UV-Schutz-Creme, alles mit Zutaten aus der Natur. Ihre Cremes sollen für Frauen und Männer, Alte und Junge gleichermaßen funktionieren. Die Berliner Juristin wollte sich schlicht nicht mehr stundenlang mit der Auswahl der richtigen Hautpflege beschäftigen. „Wenn es nach der Schönheitsindustrie geht, darf man auch nicht älter werden. Mit dem Schlagwort ,Anti-Aging‘ wird man zur Optimierung gezwungen.“ Sie glaubt nicht an die Versprechen der ewigen Jugend und will stattdessen schön altern. Dafür hat sie sich zwei Jahre mit der Frage beschäftigt, was die Haut wirklich braucht. Ihre Antwort: „Reinigung und Feuchtigkeit, mehr nicht.“
Und ihre Idee funktioniert. Trotz des Starts während des ersten Lockdowns verkauft sie unter anderem im KaDeWe und in der Berliner Edelboutique „The Corner“ und auch die Geschäfte über ihren Onlineshop laufen gut. „Aber ich bin meine beste Kundin“, sagt Tuna. Sie kennt Frauen, die sechs Stunden im Badezimmer verbringen, das findet sie total verrückt. Sie möchte lieber ihre Zeit nutzen, um sich die neue Produkte auszudenken.
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