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Absturz der Air-India-Maschine: Pilotengewerkschaft Cockpit warnt vor Spekulationen zur Ursache
Bei dem Vorfall im Juni starben 260 Menschen. Ein erster Bericht nennt eine unterbrochene Treibstoffzufuhr als möglichen Grund. Experten mutmaßen nun über Vorsatz eines Piloten. Daran gibt es Kritik.
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Nach der Veröffentlichung des vorläufigen Berichts zum Absturz des Air-India-Flugzeugs mit 260 Toten wird weiter über die Ursache diskutiert. Die indische Behörde für Flugunfall-Untersuchung kommt darin zu dem Schluss, dass die Ursache für die Katastrophe vom 12. Juni möglicherweise eine unterbrochene Treibstoffzufuhr ist. Mehrere Experten äußerten daraufhin die Ansicht, dass es sich um eine Suizidhandlung eines der beiden Piloten handelte. Die Pilotengewerkschaft Cockpit warnte nun am Sonntag vor Spekulationen.
Der bisher vorgelegte Untersuchungsbericht lasse „keinen eindeutigen Schluss auf eine absichtliche Handlung zu“. VC betonte, „seriöse Rückschlüsse zur Unfallursache“ seien zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. „Wichtige technische und systemische Aspekte sind nach wie vor ungeklärt.“
Die Aufgabe der Flugunfalluntersuchung ist es, unabhängig sämtliche Faktoren des Unfalls zu beleuchten – technischer, organisatorischer und menschlicher Art.
Vivianne Rehaag, Mitglied im Vorstand der Pilotengewerkschaft Cockpit
Dem Zwischenbericht zufolge waren die Kontrollschalter für die Treibstoffzufuhr beider Triebwerke kurz vor dem Absturz abgeschaltet und die Treibstoffzufuhr damit unterbrochen worden. Wird die Treibstoffzufuhr unterbrochen, liefern die Triebwerke keinen Schub mehr und das Flugzeug verliert an Höhe.
Der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt hatte sich im „Spiegel“ mit Blick auf den vorläufigen Bericht dagegen überzeugt gezeigt, dass einer der beiden Piloten die Treibstoffzufuhr absichtlich unterbrochen habe. „Alles deutet darauf hin, dass es ein Suizid war. Dass einer der beiden Piloten dieser Maschine bewusst die Treibstoffzufuhr unterbrochen hat – und das genau in dem Moment, in dem das Flugzeug am verwundbarsten war, unmittelbar nach dem Abheben.“
Die beiden Treibstoff-Regler für die Triebwerke seien dem Bericht zufolge wenige Sekunden nach dem Abheben von „Run“ auf „Cutoff“ umgelegt worden – und zwar nacheinander, im Abstand von einer Sekunde zwischen Schalter 1 und Schalter 2. „Das kann nach menschlichem Ermessen nur einer der beiden Männer im Cockpit getan haben“, so Großbongardt. „Versehentlich kann man diese Regler nicht bewegen.“ Einen technischen Defekt oder eine unabsichtliche Betätigung der Schalter hielt Großbongardt für unwahrscheinlich.

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Auch Graham Braithwaite, Fachmann von der britischen Cranfield University, sagte der BBC, solche Treibstoff-Regler könnten nicht leicht abgeschaltet werden. Es handle sich um „wirklich wichtige Schalter“, die davor geschützt seien, dass jemand sie versehentlich berühre. Wenn ein Pilot einen solchen Schalter betätigen wolle, müsse er diesen „anheben und sehr bestimmt in die gewünschte Position bewegen“, erklärte Braithwaite. Der Experte wies auch darauf hin, dass in dem Bericht nicht behauptet werde, ein Pilot habe den Schalter bewegt.
Dem Untersuchungsbericht zufolge kam es kurz nach dem Start vom indischen Flughafen Ahmedabad auf dem Flug nach London zu einem plötzlichen Schubverlust und die Boeing 787-8 verlor an Höhe. Auf dem geborgenen Stimmenrekorder des Flugzeugs sei im Cockpit zu hören gewesen, wie einer der Piloten den anderen gefragt habe, warum er den Kraftstoffschalter umgelegt habe, heißt es. „Der andere Pilot antwortete, er habe das nicht getan.“ Wann der Flugkapitän sprach und wann der Erste Offizier, blieb unklar.
„Die Aufgabe der Flugunfalluntersuchung ist es, unabhängig sämtliche Faktoren des Unfalls zu beleuchten – technischer, organisatorischer und menschlicher Art“, erklärte Vivianne Rehaag aus dem VC-Vorstand. Diesen Prozess gelte es abzuwarten und zu respektieren. „Vorverurteilungen helfen der Sicherheit nicht – im Gegenteil“, fügte sie hinzu.
Pilotengewerkschaft schließt technisches Problem nicht aus
Die VC verweist dem Portal „Aero Telegraph“ zufolge dabei auf die Tatsache, dass die US-Luftfahrtbehörde FAA bereits im Dezember 2018 ein sogenanntes Special Airworthiness Information Bulletin (SAIB) zu den Schaltern veröffentlicht hatte – eine sicherheitsrelevante Mitteilung, die jedoch keine verbindlichen Maßnahmen vorschreibt.
Darin wurde demnach auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die Sicherung der Treibstoffschalter bei bestimmten Boeing-Modellen, darunter auch der 737, möglicherweise nicht korrekt funktioniere. Auch der in der verunglückten Boeing 787 verbaute Schalter zähle zu dieser Baureihe.
Nach Angaben von Air India, so das Portal weiter, wurde die in dem Bulletin empfohlene Überprüfung am betroffenen Flugzeug nicht vorgenommen, da es sich lediglich um eine nicht verpflichtende Empfehlung handelte. Darauf weist auch die VC hin. Möglicherweise sei die Arretierungsfunktion der Schalter nicht intakt gewesen. „Dies kann unbeabsichtigte Betätigungen begünstigen.“
Die Fluggesellschaft Air India bestätigte den Eingang des vorläufigen Berichts. Sie könne sich angesichts der laufenden Ermittlungen aber nicht zu spezifischen Details äußern, teilte sie mit.
In dem vorläufigen Bericht wird der Agentur dpa zufolge auch festgehalten, dass das Ram-Air-Turbine genannte Notfallsystem des Flugzeugs ausgeklappt worden sei, als die Maschine anfangs gestiegen sei. Das hätten Überwachungskameras am Flughafen gezeigt. Das System besteht aus einem kleinen Propeller und erzeugt aus dem Fahrtwind hydraulische oder elektrische Energie. Bei einem Notfall wird es aus dem Rumpf oder der Tragfläche ausgeklappt.
Dem Bericht zufolge deutete demnach nichts auf einen möglichen Zusammenprall mit Vögeln hin. „Es wurden keine bedeutsamen Vogelaktivitäten in der Nähe der Flugbahn beobachtet.“ Die Maschine habe bereits an Höhe verloren, noch bevor sie die Umfassungsmauer des Flughafens überflogen habe. Einer der Piloten habe eine Notmeldung mit dem Code „Mayday Mayday Mayday“ abgesetzt.
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