
© Madlen Haarbach
Frühere Farc-Rebellen in Kolumbien: Bierbrauen statt kämpfen
Ehemalige Farc-Rebellen gründen in Kolumbien ihre eigene Brauerei. Viele frühere Kämpfer tun sich schwer in der modernen Welt. Das Projekt soll die Verständigung fördern.
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Gemeinsam Bier trinken und eine andere Perspektive auf den kolumbianischen Konflikt kennenlernen: Ungefähr so lässt sich die Idee umschreiben, mit der zehn ehemalige Kämpfer:innen der marxistischen Farc-Guerilla einen Beitrag für die Versöhnung der Gesellschaft leisten wollen.
Über 50 Jahre herrschte in Kolumbien ein bewaffneter Konflikt zwischen der Guerilla, dem kolumbianischen Staat und paramilitärischen Gruppen. Seit 2016 herrscht offiziell Frieden – wirklich ruhig ist die Lage in dem südamerikanischen Land aber immer noch nicht.
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Kurz vor den Präsidentschaftswahlen Ende Mai, bei denen mit Gustavo Petro erstmals ein linker Kandidat und ehemaliger Guerilla-Kämpfer den Sieg erringen könnte, ist die kolumbianische Gesellschaft gespalten in Anhänger des Friedensprozesses und konservative Kräfte, die in erster Linie um den Status Quo – und ihr Eigentum – fürchten.
So machen Falschmeldungen über angeblich geplante großflächige Enteignungen die Runde, das Nachbarland Venezuela – seit Jahren in einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise steckt – dient als mahnendes Beispiel. Gleichzeitig werden immer mehr soziale und umweltpolitische Aktivist:innen, darunter auch ehemalige Farc-Mitglieder, ermordet. Paramilitärische Gruppen und Drogenbanden füllen zunehmend die Machtlücken, die die Guerilla hinterlassen hat.
Das Haus erinnert an viele der Hipsterkneipen aus der Nachbarschaft
Kann ein kleines Bierprojekt dagegen ankommen? Ehemalige Guerilleros wollen es zumindest versuchen. Fast versteckt liegt ihr Haus im Zentrum der Hauptstadt Bogotá. Nur kleine Hinweisschilder sind an den Wänden des dunklen, historischen Backsteingebäudes angebracht, ein schwarzer Metallzaun schirmt die „Casa de la Paz“, das Haus des Friedens, zur Straße hin ab.
„Wer hier herkommt, weiß, wo er hinwill“ sagt Doris Suárez Gúzman. Die End-Fünfzigerin mit den grau melierten Locken und dem roten Lippenstift empfängt an der Tür.
Im Inneren verbergen sich die wohl kleinste Bierbrauerei der Hauptstadt, eine Bar, Ausstellungsräume, Ateliers und Coworking-Büros. Das Haus erinnert an viele der Hipsterkneipen aus der Nachbarschaft.
An der Decke des dunklen Kneipenraums hängen Origami-Vögel, die aus einer Kunstaktion von Opfern des Konfliktes stammen. Die Wände sind mit großflächigen Graffitis und Plakaten mit linken Parolen bedeckt. Im Hinterhof gibt es eine Bühne für Konzerte.
14 Jahre lang saß Suárez Gúzman im Gefängnis
Dass das Haus sich nach außen hin versteckt, sei nicht zuletzt eine Sicherheitsmaßnahme, erklärt Suárez Gúzman. Denn auch wenn das Haus sich dem Frieden widmet, im Frieden angekommen ist die Gesellschaft drum herum noch nicht. Auch Doris Suárez Gúzman selbst tut sich damit noch etwas schwer.
Mit Anfang 20 schloss sie sich der Farc an, 15 Jahre lang war sie dann aktive Kämpferin der marxistischen Guerilla. 14 Jahre lang saß Suárez Gúzman anschließend deswegen im Gefängnis. Seit fünf Jahren ist sie frei. Im September 2016 hatten der damalige kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos und der damalige Anführer der Farc-Guerilla, Rodrigo Londoño einen Friedensvertrag unterzeichnet. Seitdem versucht die große Mehrheit der ehemaligen Guerilla-Kämpfer:innen, irgendwie im zivilen Leben anzukommen.
Auf Unterstützung von staatlicher Seite können sie kaum hoffen
Neben einer Anschubfinanzierung und einem kleinen monatlichen Unterhalt können die rund 13 000 ehemaligen Guerilla-Kämpfer:innen, die 2016 ihre Waffen niederlegten, kaum auf Unterstützung von staatlicher Seite hoffen.
Viele haben ihr Geld in die Landwirtschaft gesteckt, andere starteten Tourismusprojekte: So gibt es etwa ein eigenes Farc-Raftingteam, das touristische Fluss-Fahrten anbietet, und mehrere geplante Erlebniscamps. Ein Teil der ehemaligen Kämpfer:innen ging in die Politik, ein kleiner Anteil kehrte – mit Verweis auf ständige Drohungen und fehlende Unterstützung der Regierung – aber auch zu den Waffen zurück.
Und die zehn ehemaligen Farc-Kämpfer:innen in Bogotá schmissen ihr Geld zusammen und kauften die Brauanlage. „Ich liebe einfach das Bierbrauen, das Experimentieren mit neuen Geschmackssorten und das Handwerk, das dahinter steckt“, sagt Doris Suárez Gúzman.
„Für uns steht das Kollektiv über allem"
Unterstützt wurden sie von der staatlichen Universität, die ihnen Bierbrau-Kurse anbot, und von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. So entstand in einem mehrjährigen Prozess die Biermarke „La Trocha“ und vor ziemlich genau einem Jahr die Casa de la Paz.
Der Name „La Trocha“, der Pfad, ist eine Anspielung auf den Weg, der noch vor ihnen liegt – und zugleich ein Verweis auf ihre Vergangenheit, in der das Begehen versteckter Pfade zu ihrem Alltag gehörte.
„Für normale Kolumbianer ist es schon schwierig, ohne Ausbildung eine Arbeit zu finden“, erzählt Suárez Gúzman. „Noch viel schwieriger ist es für uns: Einerseits wegen des Stigmas, das uns immer noch anhaftet. Andererseits aber auch wegen des Lebensstils, den wir gewohnt sind.“
Nach Jahrzehnten in den Reihen der Guerilla fällt es den ehemaligen Kämpfer:innen schwer, sich in der individualisierten, kapitalistischen Welt zurechtzufinden. „Für uns steht das Kollektiv über allem, ich bin was ich bin wegen der Anderen“, sagt Doris Suárez Gúzman.

© Madlen Haarbach
Auch „La Trocha“ entzieht sich der kapitalistischen Logik: Produziert werden derzeit rund 200 Liter Bier pro Woche, die ausschließlich in der Bar verkauft werden. Mehr Bier verkaufen wollen die zehn Mitglieder nicht, das Haus steht bei allem im Vordergrund.
Mittlerweile arbeitet das Team auch mit anderen Organisationen, Künstler:innen und vor allem Opferschutz-Initiativen zusammen. „Das hier ist ein Ort der Versöhnung“, sagt Suárez Gúzman und deutet mit der Hand einen Halbkreis um sich an. „Hier können Menschen herkommen und unsere Sicht auf den Binnenkonflikt, unsere Erfahrungen kennenlernen.“
In der Casa de la Paz finden Konzerte, Diskussionsrunden, Ausstellungen und Flohmärkte mit – nicht nur – Produkten anderer Ex-Farc-Projekte statt. „Vor allem geht es aber darum, ins Gespräch zu kommen – und wie geht das besser als bei einem Bier?", sagt Doris Suárez Gúzman und lacht.
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