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Flughafen Heathrow: Briten kämpfen gegen die Tücken des Alltags

Chaos am Flughafen Heathrow: Der Airport ist zum Symbol nationaler Scham und Schande geworden. Doch die Briten sind an solche Katastrophen gewöhnt - und haben ihre ganz eigene Art damit fertig zu werden.

Von Markus Hesselmann

Jetzt hat sich auch der britische Außenminister zum Chaos am Flughafen Heathrow, dem zeitgenössischen englischen Drama, geäußert – knapp und dezent, in seinem Blog. David Miliband lässt einen Amtskollegen für sich sprechen: „Ein Außenminister, mit dem ich am Wochenende am informellen Treffen in Slowenien teilnahm, fiel der Terminal-5-Saga zum Opfer“, schreibt Miliband. „Er kam nur um weiterzufliegen, aber seine Koffer waren nicht auffindbar und wie man hört, kann es Wochen dauern, bis sie wiederauftauchen.“ Der Kollege habe ihn gebeten, eine Botschaft an die Fluglinie British Airways und die Flughafengesellschaft weiterzugeben: „Um Gottes Willen, bringt das endlich in Ordnung.“

Von Ordnung war auch gestern in Heathrow nur wenig zu spüren. Erneut wurden 50 Flüge abgesagt, mehr als 300 sind es nun insgesamt seit der Eröffnung des neuen Terminals 5 am Donnerstag vergangener Woche. Das Gepäck jenes Ministers ruht nun Seite an Seite mit den Koffern gewöhnlicher Reisender – unter einem Berg von 28 000 Gepäckstücken, der sich zurzeit in Heathrow aufwirft. Um den Namen des Kofferverlierers drückt sich Chefdiplomat Miliband. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sei es jedenfalls nicht, hieß es gestern in Berlin.

Heathrow ist zum Symbol nationaler Scham und Schande geworden. „Tearing your hair out“ (sich die Haare raufen) schreibt Miliband als Überschrift über seinen Blog-Eintrag. Was für ein Kontrast zu den Worten seiner Königin noch vor wenigen Tagen. Vom verdienten Stolz der Planer, von der künftigen Wertschätzung durch die Reisenden und der effizienten Gestaltung des Terminals hatte Elizabeth II. bei der royalen Eröffnungszeremonie gesprochen.

Jetzt ist alles Haareraufen, Heulen, Zähneknirschen – aber immer mit Humor. In diesen Tagen von Heathrow abfliegen zu müssen, sei vergleichbar „mit dem Auftrag, gegen die Mahdi-Armee in Basra zu kämpfen“, schreibt Max Hastings von der Zeitung „The Guardian“. In solchen Kommentaren – die britischen Zeitungen sind voll davon – klingt wieder durch, was der deutsche Publizist und England-Kenner Karl Heinz Bohrer einst „ein bisschen Lust am Untergang“ nannte. Nach dem Motto: Erst genießen wir den Pomp und dann kosten wir den Thrill der Erniedrigung aus. Bohrer schrieb 1975 von dieser ganz speziellen britischen Lust – in Zeiten in denen das Vereinigte Königreich wirtschaftlich am Ende war, wovor viele Briten nach Jahren des Aufschwungs jetzt wieder Angst haben.

Zu Alltagskatastrophen wie derzeit in Heathrow, zum üblichen Chaos im Londoner Nahverkehr oder zu bürokratischen Pannen wie den Datenverlusten in Regierungsbehörden trägt aber auch eine britische Tugend bei: Immer freundlich sein, stets duldsam, nie aufbrausend oder nörglerisch. Was dem Gast aus Deutschland auf der Insel so angenehm vorkommt, fördert nicht unbedingt die Aufarbeitung von Fehlern. In seinem Buch „How to be a Kraut“ hat Roger Boyes das Phänomen anhand eines Vergleichs zwischen deutschen und englischen Urlaubern beschrieben: Die Briten lassen sich von Reiseveranstaltern und Hotelbesitzern alles gefallen. Die Deutschen nörgeln und prozessieren und erreichen dadurch Verbesserungen, die schließlich auch den Briten zugute kommen.

Vielleicht muss also doch einmal ein deutscher Minister seine Koffer in Heathrow verlieren. Oder Miliband selbst? Das wäre wenig hilfreich. Der britische Außenminister ist viel zu nett, um daraus ein wirkliches Drama zu machen.

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