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Panorama: Die Jagd ist nicht zu Ende

Unterwegs in England: Viele wollen das Verbot missachten und den Fuchs weiter hetzen

Prudence kennt sich aus mit der Fuchsjagd. „Früher wurde das Blut des getöteten Fuchses auf die Wangen der besonders mutigen Jäger geschmiert. Ihnen wurden auch die abgerissenen Gliedmaßen des Fuchses gezeigt.“ Prudence sagt das ohne Abscheu, fast mit Ehrfurcht. Sie ist 75 Jahre alt, Witwe eines Royal Marines und Hutmacherin. Schon als Kind saß sie auf einem Pferd und ritt den weißen Hunden hinterher, die den Fuchs jagten, bis sie ihn zerfleischen konnten. „Ich finde es gut, dass man das heute nicht mehr macht“, sagt Pru nüchtern. „Man muss schon mit der Zeit gehen.“ Aber dass man die Fuchsjagd ganz verbieten muss, das kann sie nicht verstehen. Irgendetwas fasziniert die eigenwillige Prudence an der Hetzjagd heute noch, auch wenn sie den Pferden nur noch zu Fuß folgt. Es muss das Unvorhersehbare, die Spannung sein, mit den Hunden zusammen dem Fuchs auf der Fährte zu sein. Der Jagdinstinkt beim Menschen. „Das Wichtigste ist der Adrenalinschub“, erklärt sie.

Prudence, die an ihren grünen Hut eine gelbe Blume, einen Poppy zur Solidarität mit den Kriegsveteranen und einen Anstecker der Jagdlobby Countryside Alliance gesteckt hat, ist heute, auf der Jagd der „Surrey Union“, nicht nur auf Gesellschaft und einen Spaziergang aus. Ihr bedeutet die Fuchsjagd mehr.

Bei Nigel Morland, Besitzer des Landes, auf dem die Jagd im Südwesten von London stattfindet, ist das ähnlich. Man kann ahnen, wovon er spricht, wenn er, kurz bevor er auf sein Pferd steigt, sagt: „Es ist toll, die Hunde arbeiten zu sehen“. Wer sagt schon gerne, dass es ihm Spaß macht zuzusehen, wie ein Hunderudel einen Fuchs in die Enge treibt und dann zerreißt. Auf einem Video von Tierschützern sieht man, wie das aussieht. Kläffende Hunde, Blut, Fleisch. Der Jagdleiter in seiner roten Jacke steckt die Überreste des Fuchses emotionslos in einen grauen Müllsack. Nigel, 49, Buchhalter im Londoner Finanzdistrikt, spult bekannte Argumente ab. „Es ist nützlich, weil die Fuchsbevölkerung kontrolliert wird.“ Aufhören kommt für ihn nicht in Frage. „Wenn die Fuchsjagd verboten wird, dann jagen wir eben Kaninchen.“ Er zwinkert mit den Augen und lächelt. „Zumindest sagen wir das dann.“ Ihm traut man zu, dass er Gefallen daran findet, Fuchs und Hund aufeinander losgehen zu sehen. Den meisten anderen, die sich heute auf der Wiese gegenüber der Dorfkirche in Tilford versammeln, nicht. Sie wollen ausreiten oder spazieren gehen, das Spektakel mit Hunden und Pferden sehen. Das, was Prudence oder Nigel antreibt, ist ihnen fremd.

Seit 1798 gibt es die Jagd in Surrey. Allein das ist für viele ein Grund, genauso weiterzumachen wie bisher. Die Stimmung ist ausgelassen. Pferde werden aus Anhängern geladen, Frauen verteilen Grog, die Jagdhunde springen um die Pferde herum, die Sonne scheint. Es ist idyllisch. „Sehen Sie doch, wie sie ihr Herrchen anhimmeln, ist das nicht wunderbar?“, sagt Leslie, eine Londoner Fotografin. Ihre Augen leuchten.

Neben den adretten Reitern sammeln sich diejenigen, die kein Pferd haben und zu Fuß folgen. Sie tragen Gummistiefel und Fleecejacken, sind weder reich, adlig oder arrogant. Die meisten wohnen auf dem Land. „Die Jagd ist eine Entschuldigung, um an die frische Luft zu kommen“, „man trifft nette Leute“, „das gehört einfach zum Landleben dazu, seit Hunderten von Jahren“, sagen Junge und Alte, Männer und Frauen.

Es ist keine Horde von blutrünstigen, brutalen, reaktionären Aristokraten in Barbour-Jacken, die Polo spielen und Militärparaden beiwohnen, wenn sie nicht gerade jagen gehen, so wie die Jagdgegner sie darstellen. In Tilford gehen nette Engländer mit ihren Kindern jagen. Der Fuchs ist kein Thema. Schulterzucken. „Ansonsten werden sie erschossen oder in Fallen gefangen, es gibt sowieso zuviele.“ Dann geht es los. Jagdmanager Mark Sprake hält eine Ansprache, von seinem Pferd aus. „Wir sind fest entschlossen, bis zum Ende gegen das Jagdverbot zu kämpfen“, ruft er. Die Jäger jubeln. Inzwischen sind es rund 50 zu Pferde, etliche mehr zu Fuß.

Es ist ein besonderer Tag, denn es ist die letzte Jagd der Surrey Union, bevor die Entscheidung über die Zukunft des 700 Jahre alten „Blutsports“ in England und Wales fällt. Am Donnerstag haben die Jagdgegner gesiegt. Das Unterhaus hat sich mit dem „Parliament Act“ über das konservativ-liberale House of Lords hinweggesetzt. 700 Stunden Debatten hat es in den vergangenen sechs Jahren in beiden Kammern über die Jagd gegeben, zehn Mal hat das Parlament für das Verbot gestimmt, jedes Mal war das Oberhaus dagegen. Erst jetzt, mit dem Parliament Act, konnte das Unterhaus die Blockade beenden. Ab dem 18. Februar 2005 können Prudence und Nigel ins Gefängnis kommen, wenn sie jagen gehen.

Unvorstellbar für die Teilnehmer des Surrey Union Hunts. Sie wollen weitermachen. Man kann ihnen doch nicht einfach ihre Freizeitbeschäftigung wegnehmen. Auch Tony Blair ist das Verbot gar nicht recht. Es ist der linke Flügel seiner Partei, der die Hetzjagd unbedingt verbieten will. Dabei stehen die Argumente der Tierschützer gar nicht an erster Stelle. Die Linken sehen in dem Kampf gegen die Jagd einen der letzten Klassenkämpfe der unter Tony Blair nach rechts gedrifteten Partei. Die Jäger repräsentieren für sie die Überreste des feudalen Landadels, der mittels jahrhundertealter Traditionen, eben wie der Fuchsjagd, in Erinnerungen an gute alte Zeiten schwelgt. Es ist auch ein Kampf der Städter gegen diejenigen, die dem traditionellen englischen Landleben treu geblieben sind, und dies mit Barbourjacken, Landrovern und sturem Glauben daran, dass alles so bleiben soll, wie es ist, ausleben. Die Masse aus den urbanen Zentren sieht in der Jagd ein sadistisches Vergnügen, das sich in einer zivilisierten Gesellschaft nicht mehr schickt. Die Mehrheit will den blutigen Sport abschaffen. Blair wäre der von den Lords vorgeschlagene Kompromiss am liebsten gewesen, der die Hetzjagd nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Denn ihm drohen nun Probleme an mehreren Fronten. Die Countryside Alliance will gegen den Parliament Act vor Gericht ziehen. Vor allem aber wollte der Premier vermeiden, dass das hochemotionale Thema gerade in drei Monaten hochkocht – mitten im Wahlkampf. Denn im Mai soll das Unterhaus gewählt werden. Machen die Jagdgegner ihre Drohung wahr, eine Kampagne „zivilen Ungehorsams“ im ganzen Land zu veranstalten, käme ihm das sehr ungelegen.

Die Jagdlobby hat gezeigt, dass sie sich mobilisieren kann. Sie hat schon Hunderttausende für Proteste auf die Straßen gelockt, im September schafften es acht sogar, in das Parlamentsgebäude einzudringen. Einer von ihnen war der Sohn des Popstars Bryan Ferry. Der 21-jährige Otis warnte danach gar vor Mordanschlägen, weil die Gemüter so erregt seien. Hunderte haben sich bereit erklärt, als Märtyrer ins Gefängnis zu gehen.

Die Jagdlobby spricht aber auch das liberale Grundverständis der Engländer an, das Recht, selbst darüber zu entscheiden, was man tun möchte. „Wir haben Freiheit im Irak, warum nicht hier?“, stand auf den Plakaten, die die Jäger gegenüber Downing Street in die Luft hielten.

In Surrey entpuppt sich die Jagd für die meisten als Ausflug. Die Hunde laufen vor, der Fuchsfährte folgend, die Pferde galoppieren hinterher. Am Anfang im Kreis, weil die Fährte so verläuft. Das sorgt für Erheiterung. Man folgt trotzdem. Alte Bekannte grüßen sich freundlich, es ist ein Spaziergang mit Showeinlagen. Die Reiter galoppieren immer wieder vorbei. Irgendwann sind sie dann weg, zu schnell, immer dem Fuchs hinterher. Die Fußgänger gehen nach Hause, oder in den Pub.

Nur Prudence eilt schnellen Schrittes voran, immer weiter, immer höher, auf der Suche nach einem letzten Blick auf Hunde und Pferde. Früher, als ihr Pferd noch lebte, hat sie die Jagd mitgeleitet und auch eine rote Jacke getragen. Wie die Füchse von den Hunden gerissen wurden, habe sie sich aber nie angesehen, sagt sie.

Pru holt einen Flachmann aus ihrer grünen Jacke. Selbst gemachter Schlehengin, sagt sie stolz, sie lässt ihn herumgehen.

Auf einmal tauchen vier Personen aus dem Nichts auf, unterhalb des Hügels. Sie tragen Armeehosen und schwarze Jacken. Pru erkennt sie sofort. Alte Bekannte sind es, die „Saboteurs“. Rund 4000 von ihnen sind in ganz England aktiv, um soviel Jagden wie möglich zu stören. Sie lenken die Hunde mit Geruchsspray und Geräuschen von ihrer Fuchsfährte ab. Weil es bei diesen Aktionen immer wieder zu Gewalt kommt, reiten gleich zwei Polizisten mit den Jägern mit. „Mit dem jungen Mann mit den Ohrringen habe ich mich schon gut unterhalten“, sagt Prudence. Früher sei es schlimmer gewesen, da hat man auch schon ihren Landrover mit Spray verunstaltet.

Stunden später, die Sonne geht schon unter, kommen die Reiter zurück. Nigel sieht zufrieden aus. Toller Ausritt, sagt er. Aber einen Fuchs haben sie heute nicht gefangen. Dafür aber drei Fährten gefunden, beeilt er sich zu sagen. Er ist schon ein bisschen enttäuscht. Die Jagdhunde hätten besser arbeiten können, findet er. Vielleicht haben aber auch die Saboteure einfach gut gearbeitet. Die kommen etwas später auch dorthin, wo die Jagd fünf Stunden vorher gestartet ist. So wie jede Woche. Graham stört die Jäger seit 22 Jahren.

Der 46-Jährige, in der Werbebranche tätig, ist zufrieden, schließlich wurde kein Fuchs gefangen. Graham strahlt eine stoische Ruhe aus. Er rechnet damit, den Surrey Hunt noch lange stören zu müssen. Auch wenn es ein Verbot gibt. „Wir müssen wohl noch länger ein Auge auf die da haben,“, und lächelt milde. Ganz so, als ob die Jäger nicht zu heilen wären.

Flora Wisdorff

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