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Panorama: Die Tortillakrise

Weil die USA Mais in biologischen Autosprit verwandeln, wird in Mexiko die Grundnahrung knapp

Mexiko-Stadt - Was auf der einen Seite der Grenze als Durchbruch in der Umwelttechnik gefeiert wird, schürt auf der anderen Seite die Angst ums tägliche Überleben. In den USA erleben Biotreibstoffe einen ungekannten Boom. Der Absatz für Ethanol-Sprit schießt in die Höhe und beschert den Produzenten satte Gewinne. Die negativen Folgen spüren vor allem die Armen im südlichen Nachbarland Mexiko: Hier wird der Mais knapp – und deshalb immer teurer, weil die bisherigen Billigimporte aus den USA immer teurer werden. Die Produktionskosten für Mais liegen in Mexiko um ein vielfaches höher als in der rationellen US-Produktion.

Zehntausende Menschen demonstrierten am Mittwoch in Mexiko-Stadt gegen die dramatisch gestiegenen Lebensmittelpreise. Die Demonstranten, darunter auch der nur knapp bei den Präsidentenwahlen geschlagene Kandidat der Linken, Andrés Manuel López Obrador, forderten einen Preisstopp, Lohnerhöhungen sowie eine Agrarpolitik, die den Anbau von Mais, Bohnen oder Getreide fördert. Der erst kürzlich gewählte konservative Präsident Felipe Calderón hatte im Wahlkampf die Bekämpfung der Armut im Lande versprochen und gerät nun unter Druck.

Mais ist seit Menschengedenken das wichtigste Grundnahrungsmittel der Mexikaner, die ihn in großen Mengen zu Tortillafladen backen.

Die uralte Feldfrucht ist aber auch Grundlage für Ethanol. Wegen der starken Nachfrage in den USA haben die Maispreise an den internationalen Rohstoffmärkten den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht. Die unkalkulierbaren Schwankungen auf dem Markt für fossile Rohstoffe lassen die energiehungrige Supermacht vermehrt auf erneuerbare Energien setzen. Der Boom lenkt die Handelsströme: Die Maisernte fließt dahin, wo das Geld ist, und schreibt dabei eine Geschichte über Gewinner und Verlierer im globalen Wettbewerb.

In Mexiko-Stadt verdoppelte sich fast der Kilopreis für Tortillas innerhalb weniger Wochen von umgerechnet 40 auf 75 Euro-Cent. „Wenn ich in meinen Geldbeutel schaue, weiß ich nicht, wie das bis nächste Woche reichen soll“, seufzt Maria Teresa Dominguez nach einem Marktbesuch in Mexiko-Stadt. Wegen des hohen Getreidepreises bleibt wenig Geld dafür übrig, die Tortilla wie gewohnt mit pikant gewürztem Fleisch zu füllen. Stattdessen packt die Handwerkerfrau billigere rote Bohnen in die Fladen. Statistiker sagen, dass jeder Mexikaner täglich zwischen 250 Gramm und einem Kilo Tortillas verzehrt.

„Die weltweiten Vorräte an Mais sind derzeit auf einem historischen Tiefstand“, sagt der Analyst Joe Victor von der New Yorker Firma Allendale. „Das treibt die Preise auf dem Markt an.“ Die Zahlen des US-Landwirtschaftsministeriums sprechen für sich: Vor sechs Jahren gab es in den USA gut 50 Ethanolproduzenten mit einer Jahresproduktion von weniger als acht Milliarden Litern. Inzwischen erzeugen über 100 Firmen mehr als 18 Milliarden Liter. Derzeit sind 70 Fabriken mit einer Kapazität von zusätzlich acht Milliarden Litern im Bau. Inzwischen fließen bereits 20 Prozent der US-Maisernte in die Ethanolgewinnung. Im Jahr 2000 waren es noch sechs Prozent.

In Mexiko hingegen dient der Mais noch seiner klassischen Bestimmung: Er soll Mägen füllen, nicht Autotanks. Angesichts des öffentlichen Unmuts über die Tortillakrise hat sich inzwischen Präsident Felipe Calderón eingeschaltet. An einem runden Tisch setzte sich der Anhänger einer liberalen Marktwirtschaft mit Agrarunternehmern zusammen und handelte eine staatlich bestimmte Obergrenze von umgerechnet 60 Euro-Cent pro Kilo Tortilla aus.

Den Unmut der Bevölkerung konnte dies aber nicht bremsen. Ganz im Gegenteil. Die Protestaktionen werden größer und lauter. AFP

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