Panorama: Dutroux verhört die Polizisten
Im Kinderschänder-Prozess verkehren sich die Fronten
„Das war meine Frage nicht“, dringt die Stimme schneidend und arrogant aus der kugelsicheren Zelle des Angeklagten, „ich hätte schon gern, dass Sie meine Frage beantworten“. Die beiden Zeugen suchen, sichtlich verwirrt und unsicher, in ihren Unterlagen. Es sind jene Kriminalbeamten, die 1996 Marc Dutroux nach tagelangen Verhören die Information über den Verbleib von zwei verschwundenen Mädchen entlockten. Dutroux sei nur über seine Eitelkeit zu packen gewesen, haben sie am Vortag ausgesagt. Erst als sie ihm das Gefühl gegeben hätten, er tue ihnen einen Gefallen und sei Herr des Verfahrens, habe er geredet: „Ich werde euch zwei Mädchen geben“. Dann führte er die Beamten zu seinem Kellerverlies.
Dutroux hat eine enorme Fragenliste vorbereitet, mit der er die Beamten, die ihn 1996 überlistet haben, vorführen will. Ein richtiges Kreuzverhör des Angeklagten mit den Polizisten wird daraus, bis der Vorsitzende Richter den Zirkus abbricht. Die Beamten kennen ihr Dossier nicht besonders gut und haben offenbar auch einiges, über das sie nicht gerne reden. Drei von vier Fotos einer Polaroid-Kamera sind verschwunden. Anlass genug für die Anwälte der Hinterbliebenen, ihrerseits die Fahnder ins Verhör zu nehmen. Die These dahinter: Dutroux, der einige Vergewaltigungen auf Video aufnahm, habe die Fotos gemacht, um einen Katalog für jenes Pädophilen-Netzwerk zusammenzustellen, das nach Ansicht vieler Belgier hinter ihm stand.
Deshalb wollte Staatsanwalt Bourlet erst nach Aufklärung des Polaroid-Rätsels Anklage erheben. Doch das Appellationsgericht gab den Fahndern und Bourlets Intimfeind, Ermittlungsrichter Langlois, Recht. Nun ist Bourlets Stunde gekommen – die Beamten müssen sich für ihre Arbeit rechtfertigen. Es wiederholt sich ein fataler Mechanismus: Jene Beamten, die Dutroux festnahmen und Beweise sammelten, stehen in der Kritik von Öffentlichkeit, Nebenklägern, Staatsanwalt. Diese Kritik nützt dem Angeklagten. Der bestätigt fleißig die populäre Hintermänner-These, die die Ermittler nicht belegen können. Er korrigiert die Ermittler mit schneidender Stimme. Fast scheint es, es sei wirklich so: Marc Dutroux – Herr des Verfahrens.
Klaus Bachmann[Arlon]