zum Hauptinhalt

Panorama: Eure Knutscherei kotzt mich an!

Draußen ist Frühling, und plötzlich ist die Stadt voll von Leuten, die schrecklich verliebt sind. Das Schlimmste daran: Alle sollen es sehen. Auch die, die gar nicht wollen – wie unsere Autorin

Stand:

Hormone sind Hormone sind Hormone. Ist ganz einfach. Einfach furchtbar.

Neulich wieder in der Stargarder Straße, Prenzlauer Berg, vorm Café: Die zwei Menschen – beide so Mitte 20 – können also wegen ihrer Hormone nichts dafür, dass sie sich so benehmen, wie sie sich benehmen. Sie wollen mich nicht ärgern, jedenfalls nicht persönlich, schuld sind ihre, ach ja, „Frühlingsgefühle“. Das soll so funktionieren: Bedingt durch mehr Licht bei freundlichem Wetter wird die Produktion des Schlafhormons gedrosselt – was wiederum bewirkt, dass die ganze Welt übereinander herfällt.

Ich persönlich fand diese Erklärung allerdings immer schon ziemlich unschlüssig. Einmal deshalb, weil die Leute jetzt von „Frühlingsgefühlen“ und drei Sekunden später von „Frühjahrsmüdigkeit“ reden, nur um ihre entweder völlig hysterisch-entfesselte oder depressiv-phlegmatische Stimmung zu rechtfertigen.

Und deshalb frage ich mich jetzt gerade, warum ausgerechnet ich Jahr für Jahr das Gefühl habe, nicht von diesen Super-Frühlings-Hormonschüben gepackt zu werden, sondern immer nur die, die sich ab Mitte März benehmen wie räudige Hunde und sich immer, wirklich immer knutschend neben mich setzen.

Die beiden Menschen neben mir im Café sind zwei ganz schlimme Exemplare. Als sie mich fragten, ob sie sich zu mir an den kleinen Holztisch setzen können, weil alle anderen Tische mit noch verliebteren Pärchen besetzt waren, hätte ich einfach bestimmt sagen sollen: „Nein“.

Ich hatte sie ja schließlich heranlaufen, nein, heranschweben sehen. Hand in Hand, den Bürgersteig blockierend. Ich aber hörte mich freundlich sagen: „Ja, klar!“

Nun sitzen sie mit verklärtem Grinsen neben mir und vergleichen die Größe ihrer Hände.Und siehe da: Seine ist größer als ihre! „WOW!“, denke ich und entnehme überrascht ihrem Gespräch, dass beide einen akademischen Abschluss anstreben, was sie allerdings nicht davon abhält, in aller Öffentlichkeit so zu tun als seien sie schwer grenzdebil.

Er: „Sag mal, wohin gehen wir denn jetzt essen?“

Sie: „Dahin, wo du willst.“

Er: „Ich will aber nur dahin, wo du hin willst.“

Sie: „Und ich nur dahin, wo du hin willst.“

Ich mein’, so etwas ist doch aufdringlich, oder? Irgendwie distanzlos. Und es ist auch gemein den Leuten gegenüber, die gerade stolz darauf waren, den Valentinstag ohne Nahtoderfahrungen (weil ohne Geschenke oder Liebesbriefe) überstanden zu haben. Und kaum ist dieses Datum vorbei, will man nur kurz mal im bunten Homejogger eine Singleportion Fünf-Minuten-Terrine einkaufen, als man in der Gemüseabteilung des Supermarkts ein durch das Phallussymbol einer Speisegurke angeregtes Pärchen bei dem sieht, was im Normalfall „Vorspiel“ genannt wird.

Dass sich ein Pärchen in einem wirklich schlimmen Stadium befindet, merkt man, wenn sie beginnen, sich gegenseitig „Hasilein“ zu nennen. Oder noch schlimmer: „Schatz“ – gern auch „Schaa-aaatz“. Klar wird es die Frau initiiert haben, aber sobald er mit aufgesprungen ist, ist „Schatz“ und „Schaa-aaatz“ vorerst nicht mehr zu helfen. Man sollte sie meiden. Doch das ist nicht einfach.

Sobald man sich bei schönem Wetter in den Mauerpark gelegt hat, um in Ruhe „Ausweitung der Kampfzone“ oder Schlimmeres zu lesen, haben auch „Schatz“ und „Schaa-aaatz“ garantiert diese Idee gehabt – bloß ohne düstere Literatur. Dort sitzen sie und füttern sich gegenseitig mit viel zu teuren Erdbeeren, im schlimmsten Fall sabbert einer der beiden dabei noch glucksend rum.

Plötzlich: „Schatz, wir müssen mal reden.“ Hoppla, Streit?, denkt man und schaut einen Moment auf, doch dann sagt er: „Wir müssen klären, ob wir im Sommer nach Fuerteventura oder Teneriffa fahren.“

Meine Freundin K., die im Mauerpark neben mir liegt, weiß schon, dass es im Sommer die griechische Insel Santorini sein wird. Das soll nämlich unheimlich romantisch sein und dort gibt es fast niemanden. Das haben jedenfalls die Damen im Reisebüro so gesagt und dabei verschwörerisch die Augenbrauen hochgezogen, als sie gemeinsam mit Freund J. dort gewesen ist.

Ich zerre sie von der Wiese, wir setzen uns in eine Bar in der Kollwitzstraße und trinken leichten Weißwein bei leichten Gesprächen und plötzlich stören die knutschenden Pärchen an den Nebentischen gar nicht mehr so und auch das Gekicher von vorn und die Komplimente von hinten sind erträglich. Und das zweite Glas Wein bestellen wir schon, als das erste noch gar nicht leer ist. Und dann piept plötzlich ihr Handy und sie bekommt diesen verklärten Blick und schreibt zurück und schielt von da an im 20-Sekunden-Takt auf ihr Display.

Nach dem dritten Glas ist sie angetrunken und sentimental und sagt, sie hätte sich nach dem Drama mit Soundso ja nie erträumt, dass sie sich noch mal so verlieben könnte, und dass ihr dann auch noch so ein atemberaubender Mann über den Weg laufen würde, und ob ich nicht auch an Schicksal glauben würde, und dass es unheimlich schön gewesen sei, mal wieder so richtig ausgiebig mit mir zu quatschen aber dass sie jetzt zu ihm müsse. „Das verstehst du doch oder?“.

Ich erinnere mich an Schiller. Der hat mal über den Frühling gedichtet: „Ei! Ei! Da bist ja wieder! Und bist so lieb und schön!“ Ich fand schon damals in der Schule, dass die Zeile schlüpfrig klingt. Eigentlich müssten ja, wenn sich die Leute im Frühling benehmen wie ein Rudel junger Pumas, viel mehr Menschen im Winter Geburtstag haben, weil ja im Frühling alle Welt vor den Augen von aller Welt offensichtlich paarungswillig ist. Aber das stimmt gar nicht, glaube ich, zumindest kenne ich viel mehr Leute, die im Sommer Geburtstag haben. Oder zumindest in den ersten zwei Dritteln des Jahres.

Wenn diese nicht repräsentative Erhebung in meinem Bekanntenkreis nun stimmt, hieße das ja, der Frühling ist eigentlich harmlos.

Richtig schlimm ist der Winter. Was sich da alles in den Wohnungen abspielt, will man gar nicht wissen. Ständige Pärchen-DVD- Abende und kindisches Gegacker zum „Die fabelhafte Welt der Amélie“-Soundtrack unter Daunendecken, das nur dann aufhört, wenn man gerade mit Sektflöten gemeinsam in der Badewanne sitzt, sind mindestens ebenso schlimm wie gegenseitiges Sich-im-Park-Durchkitzeln oder sich gegenseitig im Café Milchschaum von der Nase zu lecken und über den schönen Nachmittag im Zoo zu reden. Man sieht das Grauen halt nur nicht.

Ich habe eine sehr kluge Freundin, die mal etwas sehr Kluges gedacht hat, als sie gerade unglücklich und verlassen war. Als ihr in der U-Bahn in Kreuzberg ein frisch verliebtes Pärchen gegenüber saß, das nicht sprach, sondern mit geschlossenen Augen lächelnd die Nasenspitzen aneinander rieb und nur ab und zu die Augen öffnete, um wirklich ganz sicher zu gehen, dass der andere wirklich da ist, da hatte sie das völlig berechtigte Bedürfnis, mit abgehalftertem Blick aufzustehen, sich vor den beiden aufzubauen und Folgendes zu sagen:

„Ist ja alles schön und gut. Aber jetzt mache ich mal ein Foto von euch. Und in zwei Jahren komme ich wieder mit dem Foto. Und das zeige ich euch dann noch mal und ich wette, ihr heult beide, weil nichts mehr ist, wie es mal war.“

Natürlich hat sie es nicht gemacht, es wäre ja auch gemein gewesen, aber die Vorstellung ließ es ihr besser gehen.

Ist doch so: Naiv sind sie, wenn sie denken, dass das ewig so bleiben würde. Und meine kluge Freundin würde ihnen ihr Bild vor die Nase halten, und es wäre wieder Frühling, aber sie wären nicht mehr so wie sie mal waren. Und was mache ich dann? Höhnisch lachen?

Nein, wahrscheinlich würde ich gerade in irgendeinem Café sitzen und einen Partnereisbecher mit Namen Coppa d’amore essen und mir überlegen, wie unsere Kinder aussehen sollen.

Und ich würde sagen: „Egal, Schatz, Hauptsache, es hätte ganz viel von dir.“

Und er würde sagen: „Nein, Schatz, Hauptsache, es hätte ganz viel von dir, du bist doch viel schöner.“

Ich entschuldige mich hiermit schon einmal vorsorglich bei meinen genervten Sitznachbarn in diesem Frühling. Ich versuche, beim Knutschen auch nicht so laut zu schmatzen. Versprochen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })