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Da war die Welt noch in Ordnung. Fastnacht im Februar in Mainz. So wird es beim nächsten Mal nicht werden.

© Andreas Arnold/dpa

Fastnacht in der Pandemie: Die Karnevalsvereine wissen nicht, was sie tun sollen

Gute Laune und menschliche Nähe sind Zutaten für Karneval und Fastnacht. In der Pandemie ist Schunkeln aber tabu – ausfallen soll die fünfte Jahreszeit trotzdem nicht. Wie kann das gehen?

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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kann sich das nicht vorstellen: Mitten in der Pandemie Karneval feiern? Auf einer Konferenz des Gesundheitsausschusses soll er gesagt haben, dass er das närrische Treiben im nächsten Frühjahr am liebsten ausfallen lassen würde.

Eine absurde Idee, findet Günter Schenk. „Fastnacht kann nicht ausfallen, genauso wenig wie Weihnachten und Ostern.“ Der gebürtige Mainzer ist Kulturpreisträger der Deutschen Fastnacht und schreibt seit vielen Jahren über die Entwicklung des Brauchtums. Ähnlich wie Schenk reagiert der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD): „Fastnacht steht im Kalender. Wie kann das ausfallen?“ So viel Macht habe nicht einmal ein Bundesminister.

Nicht wenige Mainzer sind skeptisch. „Fastnacht mit Abstand? Das wird nix“, schreibt eine Mainzerin in den sozialen Netzwerken. Auch kleinere Fastnachtsvereine haben bereits ihre Veranstaltungen für 2021 abgesagt. Schunkeln, gemeinsames Singen, Nähe – das gehört zur Fastnacht dazu. Wie soll das gehen, mit Mundschutz und Abstandsregeln ist das nicht machbar.

Bei den großen Vereinen wie dem Mainzer Carneval Verein oder auch den Gonsenheimer Carneval-Verein sieht man das anders: Virus hin, Virus her – die Kampagne kann nicht einfach abgesagt werden. Dabei ist allen klar, dass sie nicht so laufen kann wie üblich.

Es kann keine großen Prunksitzungen geben, bei denen die Besucher dichtgedrängt im Saal sitzen. Auch keine Fastnachtsumzüge mit dem üblichen Gedränge. Nur: Es herrscht Ratlosigkeit, wie man das Fest, auf das sich die Mainzer das ganze Jahr freuen, denn feiern kann. „Wir müssen nach Möglichkeiten suchen, wie Fastnacht in Corona-Zeiten gelebt werden kann“, sagt Ebling.

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"Wir wollen lachen"

Er selbst gehört zu den Bohnebeiteln, einem Traditionsverein aus Mainz-Mombach. „Wir haben unseren Leuten gesagt: Bereitet Euch vor, schreibt Eure Büttenreden, was wir genau machen, wissen wir jetzt noch nicht, aber wir wollen lachen.“ Ebling findet das gerade jetzt wichtig: „Die Menschen brauchen doch auch einmal Zerstreuung.“

Nun suchen alle nach Ideen für alternative Konzepte und Formate. Dezentral soll es sein, kleiner, ganz anders, das hört man von allen Seiten. Für den Rosenmontagszug gibt es schon eine Idee. Hieß es sonst „De Zuch kimmt“, heißt es nächstes Jahr vielleicht „De Zuuch steht“.

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Die Garden und die Motivwagen laufen nicht mehr durch die Stadt – sie stehen dort. Und die Narren laufen daran vorbei. Schenk kann sich das gut vorstellen, er würde den Zug nicht nur über die Innenstadt, sondern über alle Vororte verteilen. Das Modell Valencia, nennt er es. Beim valencianischen Frühlingsfest stünden die Fallas, haushohe Figuren aus Pappmaché, auch in allen Stadtvierteln.

Finanzielle Probleme für die Vereine

Skeptisch ist Markus Perabo, Vorstandssprecher der Mainzer Fastnachtsgenossenschaft, er sieht vor allem wirtschaftliche Probleme auf die Vereine zukommen. Das gelte nicht nur für Sitzungen. Er fragt sich: „Was sollen in den halb besetzten Sälen die Tickets kosten?“

Aber auch für die Straßenfastnacht sieht er Probleme. Das fange bei den Motivwagen an, für die man Sponsoren brauche. Die zu finden, sei in Pandemiezeiten nicht gerade einfach. Auch Online-Übertragungen von Sitzungen hält Perabo für schwierig. „Kann man so Stimmung transportieren?“

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Nein, kann man nicht, sagt Günter Schenk. Fastnacht sei schon immer auch die persönliche Begegnung gewesen. Er setzt deshalb auf die Kneipenfastnacht, wo kleine Gruppen bei angemessenem Hygienekonzept feiern.

Was nun genau wird, das soll eine Umfrage klären, die die Mainzer Fastnachtsgenossenschaft Anfang September durchführen will. Vereine und Garden sollen online befragt werden, auch die Mainzer sollen per Straßenumfrage zu Wort kommen.

Würden sie überhaupt zu Sitzungen kommen? Wie risikofreudig sind sie? Einen ersten Eindruck gibt das Mainzer Marktforschungsunternehmen m-result. Sie haben nach den Spahn-Äußerungen über 1000 Kommentare in den sozialen Netzwerken und verschiedenen OnlineKanälen analysiert.

Kritiker des Kommerzes begrüßen die Entwicklung

Danach befürworten drei Viertel der User eine Absage der Kampagne, der Rest sieht die eher kritisch. Und nicht wenigen ist es egal, sie wollen sich die Fastnacht sowieso nicht verbieten lassen. „Dann machen wir es eben auf eigene Faust“, schreibt einer.

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Und solche Kommentare sind Musik in den Ohren von Günter Schenk, der seit Jahren für seine Kritik an der kommerziellen Fastnacht bekannt ist. Er sieht durch Corona die Chance, zurück zu den Ursprüngen der Fastnacht zu kommen. Endlich weg vom Kommerz. „Je dezentraler, umso besser.“ Und er schiebt gleich noch Goethe hinterher. Der habe in Italien Karneval als Fest erlebt, das dem Volk nicht gegeben wird, sondern das es sich selbst gibt.

„Sie krien uns nit kaputt!“, meint Ebling gut gelaunt. Und stimmt den alten Fastnachtsschlager an. Die närrische Proklamation, mit der am 11. November um 11.11 Uhr in der Mainzer Innenstadt die Fastnachtskampagne eröffnet wird, werde jedenfalls stattfinden. „Mit angemessenem Abstand.“

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