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Ein Passagierflugzeug vom Typ Airbus A321-100 der Lufthansa ist beim Start vom Flughafen Berlin Brandenburg BER zu sehen.

© Imago/Olaf Schuelke

Mit 199 Passagieren an Bord: Co-Pilot war ohnmächtig im Cockpit – Lufthansa-Jet fliegt zehn Minuten auf Autopilot

Bei einem WC-Gang des Flugkapitäns wurde der Co-Pilot einer Lufthansa-Maschine bewusstlos. Der Airbus A321 flog führerlos über Spanien. Der Vorfall ereignete sich im Februar 2024.

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Dramatische Minuten über den Wolken, die die Frage nach geltenden Sicherheitsstandards neu stellen: Während eines Lufthansa-Flugs von Frankfurt nach Sevilla ist der Co-Pilot eines Airbus A321 ohnmächtig geworden, während der Kapitän auf der Toilette war. Das geht aus einem Untersuchungsbericht der spanischen Unfalluntersuchungsbehörde CIAIAC zu dem schwerwiegenden Vorfall vom 17. Februar 2024 hervor, über den mehrere Medien und die Agentur dpa berichten.

Demnach flog die Maschine rund zehn Minuten ohne einen kontrollierenden Piloten. An Bord waren 199 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder. Die Ereignisse auf Flug LH1140 von Frankfurt am Main nach Sevilla in Spanien werden erst jetzt bekannt, weil die CIAIAC, die für die Untersuchung von Flugunfällen zuständig ist, am Donnerstag einen entsprechenden Bericht veröffentlichte.

Ungewöhnliche Geräusche auf Voice-Rekorder des Lufthansa-Jets

Die Ereignisse auf Flug LH1140 von Frankfurt am Main nach Sevilla in Spanien werden erst jetzt bekannt, weil die CIAIAC, die für die Untersuchung von Flugunfällen zuständig ist, am Donnerstag einen entsprechenden Bericht veröffentlichte.

Um 10.31 Uhr verließ der Kapitän der CIAIAC zufolge das Cockpit, um auf die Toilette zu gehen. Der Bericht sagt: „Der Co-Pilot wirkte zu diesem Zeitpunkt laut Aussage des Kapitäns fit und aufmerksam.“ Dies änderte sich jedoch genau 36 Sekunden, nachdem der Kapitän das Cockpit verlassen hatte. Der Voice-Rekorder zeichnete „verdächtige Geräusche“ auf. Der Co-Pilot hatte offenbar einen Krampfanfall erlitten und war zusammengebrochen, heißt es.

Obwohl der bewusstlose Co-Pilot offenbar ungewollt Bedienelemente betätigte, konnte die Maschine dank des programmierten Autopiloten stabil weiterfliegen. Dennoch zeigt dies, wie gefährlich die Lage war, denn der Co-Pilot hätte auch den Autopiloten versehentlich deaktivieren können.

Erst rund zehn Minuten später gelang es dem Kapitän mithilfe eines Notfallcodes, die Sicherheitstür zum Cockpit zu öffnen. Er hatte erst im Monat zuvor ein Training für solche Notfälle absolviert. 

Der Kapitän habe fünfmal vergeblich den normalen Türöffnungscode eingegeben, der einen Summton im Cockpit auslöst, damit der Co-Pilot die Türöffnung freigibt. Eine Stewardess versuchte, mit Hilfe des Bordtelefons Kontakt mit dem Co-Piloten aufzunehmen. Mit Gewalt lassen sich diese Sicherheitstüren, die Flugzeugentführen vorbeugen sollen, nicht öffnen.

Lufthansa-Co-Pilot war blass und schwitzte stark

Schließlich habe der Kapitän einen Notfallcode eingetippt, mit dessen Hilfe sich die Tür auch ohne Zutun aus dem Cockpit öffnen lässt. Kurz bevor sich die Tür automatisch geöffnet hätte, habe sie der Co-Pilot trotz seines Schwächeanfalls von innen geöffnet.

Da der Co-Pilot ganz blass war, stark schwitzte und merkwürdige Bewegungen machte, entschied sich der Kommandant zur Notfall-Landung in Madrid, da dieser Flughafen näher lag. Die Maschine mit 199 Passagieren und sechs Besatzungsmitgliedern an Bord landete dort sicher.

Der Co-Pilot, bei dem noch an Bord ein mitreisender Arzt Erste Hilfe geleistet hatte, wurde sofort in ein Krankenhaus gebracht. Der Erste Offizier hatte offenbar einen neurologischen Anfall erlitten, heißt es in dem Bericht der spanischen Behörde. Aus dem Bericht geht hervor, dass weder frühere medizinische Untersuchungen des 38-Jährigen noch der Betroffene selbst Hinweise auf eine Vorerkrankung hatten. Die Reaktion der Besatzung wird von der CIAIAC als professionell und „wirkungsvoll“ beschrieben.

Die Lufthansa teilte auf dpa-Anfrage lediglich mit, ihr sei der Untersuchungsbericht bekannt. Ergänzend habe auch die Flugsicherheitsabteilung von Lufthansa eine umfangreiche, eigene Untersuchung durchgeführt. Über deren Ergebnis teilte das Unternehmen aber nichts mit. „Wir bitten um Verständnis, dass wir uns nicht über den Untersuchungsbericht hinaus äußern“, so eine knappe schriftliche Mitteilung. 

Situation erinnert an Germanwings-Flug 9525

Der Vorfall wirft die alte Sicherheitsfrage neu auf, ob Fluggesellschaften wieder eine durchgehende Doppelbesetzung des Cockpits einführen sollten. Denn die Situation erinnert auf fatale Weise an den Absturz von Germanwings Flug 9525 vor zehn Jahren.

Damals hatte der Kapitän das Cockpit ebenfalls für einen Toilettengang verlassen. Als er auf seinen Platz zurückwollte, hatte ihm der Co-Pilot Andreas Lubitz absichtlich den Zugang zum Cockpit verwehrt. Der Kapitän hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür und schrie Lubitz an, er solle die Tür öffnen. Lubitz tat das nicht, stattdessen hatte er den Autopiloten so eingestellt, dass dieser die Maschine gegen ein Felsmassiv der französischen Alpen fliegen würde. Alle 150 Menschen an Bord kamen ums Leben.

Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) wird in dem Bericht nun aufgefordert, Flugbetreiber zur Neubewertung entsprechender Sicherheitsrichtlinien anzuhalten. Es sei ratsam, dass sich immer eine zweite befugte Person im Cockpit aufhalte, wenn einer der beiden Piloten diese für einen Toilettengang oder andere Aufgaben verlassen müsse.

„Die Anwesenheit einer weiteren autorisierten Person hätte dazu beigetragen, die Handlungsunfähigkeit des Copiloten schnell zu erkennen, die restliche Besatzung zu alarmieren und die Sicherheitstür im Cockpit zu öffnen, um dem Kapitän einen schnellen Zugang und die Übernahme der Kontrolle über das Flugzeug zu ermöglichen“, schreibt die CIAIAC.

Eine entsprechende Empfehlung gab die EASA bereits nach dem Absturz der Germanwings-Maschine heraus. Allerdings wurde diese Empfehlung bereits 2016 wieder überarbeitet – die Fluggesellschaften sollten die Risikolage selbst bewerten und ihre Vorgaben entsprechend anpassen. (lem)

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