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Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg beim National Book Festival in Washington.

© Cliff Owen/AP/dpa

US-Richterikone Ruth Bader Ginsburg: „Ich bin am Leben“

Die 86-jährige liberale Supreme-Court-Richterin zeigt sich nach ihrer Krebserkrankung der Öffentlichkeit. Ihre Fans hoffen, dass sie noch lange weitermacht.

Die Frage der Fragen kommt gleich am Anfang. Und die zierliche alte Dame auf der Bühne zögert nicht lange. Sie weiß, welche Bedeutung ihre Antwort hat, sie muss nur in den bis auf den letzten Platz besetzten Saal schauen. "Wie ich mich fühle?", wiederholt sie die Frage der Moderatorin. "Wie jeder hier sehen kann: Ich bin am Leben." Der Applaus brandet auf, es braucht ein paar Sekunden, bis sie hinzufügen kann: "Und bald wird es mir wieder richtig gut gehen."

Das ist die Nachricht, auf die alle hier beim "National Book Festival" im Washingtoner Kongresszentrum gewartet haben. Manche haben sich ab drei Uhr morgens angestellt, um ihr Idol zu sehen: Ruth Bader Ginsburg, Spitzname "Notorious RBG" (berüchtigte RBG), 86, seit 1993 Richterin am Obersten Gerichtshof Amerikas, Ikone der Frauenrechtsbewegung, Vorreiterin der Gleichberechtigung – und gerade erst wieder drei Wochen wegen einer Krebserkrankung behandelt worden.

Ihre Anhänger fürchten, dass sie aufgibt

Da es eine schwere Krebserkrankung war (Bauchspeicheldrüse) und bereits ihre vierte (erst im vergangenen Jahr wurde sie wegen Lungenkrebs behandelt), und weil 86 ja auch ein stolzes Alter ist, waren RBG-Fans in großer Sorge. Um ihr heiß verehrtes Idol an sich, aber auch darüber, dass Ginsburg aufgeben und noch während der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump zurücktreten würde.

Supreme-Court-Richter sind auf Lebenszeit gewählt. Sie selber entscheiden, wann es genug ist. Manche sterben im Amt. Würde Ginsburg, die einst von Präsident Bill Clinton ernannt wurde und als Vertreterin des liberalen Flügels in dem neunköpfigen Gremium gilt, ausscheiden, könnte Trump zum dritten Mal einen Obersten Richter nominieren und damit die konservative Mehrheit an dem mächtigen Gerichtshof auf Jahrzehnte zementieren. Für Liberale eine Horrorvorstellung.

Aber so weit ist es nicht, das beweist Ginsburg an diesem Samstag. Zwar wirkt sie noch zerbrechlicher und kleiner als ohnehin schon, und bei ihrem Gang auf die Bühne wird sie gestützt. Aber dann steht sie da, breitet die Arme weit aus und genießt den großen Jubel ihrer Fans. 4000 von ihnen haben einen Sitzplatz ergattert, dazu kommen nochmal 1000, die immerhin stehend zuschauen dürfen. Aber draußen bleiben müssen Tausende weitere, die nicht mehr in den Saal gepasst haben, wie Mary Hoch, eine der freiwilligen Helfer des Festivals, berichtet.

Vor allem Frauen sind gekommen, um sie zu hören

Frauen jeglichen Alters sind eindeutig in der Überzahl. Viele von ihnen tragen T-Shirts und Kapuzenpullis mit einer aufgedruckten Ginsburg, mal im Richtergewand, mal mit Krone, und meist mit dem Zusatz: "Notorious RBG".

Ihren Spitznamen, der ihren Aufstieg zu einer Popikone markiert, hat sie dem Blog einer Jurastudentin zu verdanken. Shana Knizhnik war beeindruckt von den scharfzüngig formulierten Gutachten, mit denen Ginsburg regelmäßig ihre Minderheitenmeinung in dem zunehmend konservativen Gericht für die Öffentlichkeit festhielt. Ihren Blog nannte Knizhnik "The Notorious RBG", in Anspielung auf den 1997 erschossenen Rapper Biggie Smalls alias "Notorious BIG". Einen Vergleich, den Ginsburg angemessen fand, wie sie schmunzelnd erzählt, da sie ja beide aus Brooklyn stammten. Der Blog wurde Kult – und RBG zur Heldin vor allem junger Amerikanerinnen. Ende 2018 strömten sie in die Kinos, um die RBG-Biografie "On the Basis of Sex" zu sehen, der Dokumentarfilm "RBG" war gar für einen Oscar nominiert. Und der Rapper "SNL" widmete ihr einen Song.

Auch Jessica Cassella trägt an diesem Vormittag ein RBG-T-Shirt. Die 30-Jährige, die als Anwältin für bezahlbaren Wohnraum kämpft, sieht die Richterin bereits das zweite Mal sprechen. "Natürlich musste ich hier sein. RBG ist eine soziale Ikone, sie inspiriert so viele Menschen. Was sie alles im Laufe ihrer Karriere erreicht hat, ist so beeindruckend, und erst recht, wie sie gegen den Krebs kämpft."

Für den nächsten Auftritt gibt es eine Warteliste - mit 16.000 Namen

RBG hat ganz offensichtlich nicht vor, kürzerzutreten. "Ich liebe meinen Job, er hat mir durch vier Abwehrschlachten gegen den Krebs geholfen." Anstatt sich auf ihre Schmerzen könne sie sich auf die Arbeit für das Gericht konzentrieren. Bevor die neue Sitzungsperiode im Oktober beginnt, für die sie "bereit" sein werde, tourt Ginsburg in den nächsten drei Wochen durch mehrere Städte. Am Dienstag wird sie in Little Rock/Arkansas auftreten. 18.000 Fans haben sich dafür bereits Tickets gesichert. 16.000 weitere stehen auf einer Warteliste.

Auf der Bühne mit RBG sind ihre Biografen Mary Hartnett und Wendy W. Williams, mit denen die Richterin vor nicht allzu langer Zeit ihr erstes Buch veröffentlicht hat: "My own words", eine Sammlung ihrer Reden und Schriften. Der ganze Starrummel scheint sie nicht zu ermüden, im Gegenteil. Die Moderatorin Nina Totenberg fragt sie gegen Ende der Veranstaltung, wie es sich anfühle, eine Popikone zu sein. Auch hier zögert sie nicht lange: "Es ist großartig. Jeder will ein Foto mit mir machen", gibt sie zu und grinst schelmisch. Der ganze Saal lacht und klatscht.

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