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Missbrauchs-Prozess: "Ich bin doch kein Sex-Monster"

Über einen Zeitraum von 40 Jahren hat ein Mann in dem kleinen Dörfchen Eschenau Mädchen belästigt. Erst im Jahr 2006 erstattete ein ehemaliges Opfer Anzeige - und löste damit eine Lawine aus.

Es sind schmerzliche Minuten für Heidi Marks auf dem Zeugenstuhl im Bamberger Landgericht. Sachlich versucht sie zu referieren, wie häufig sie von zwei Männern aus ihrem Heimatdorf Eschenau vor mehr als 40 Jahren missbraucht wurde. Doch einmal verliert sie beinahe die Fassung. Da fragt sie der Anwalt des 60-jährigen Beschuldigten Alfred G., ob sie als Kind wirklich so unschuldig war, wie sie behauptet. "Mir hat man gesagt, die hat es ganz schamlos getrieben", sagt Anwalt Jörg Händler. Da dreht sich Heidi Marks zu ihm um und fragt: "Mit vier Jahren?" In diesem Alter habe sich Alfred G. ihr zum ersten Mal genähert.

Die Leiden der heute 50 Jahre alten Heidi Marks sind verjährt und spielen im Verfahren gegen Alfred G. keine Rolle. Für die Strafzumessung, darauf macht Staatsanwalt Lukas Knorr aufmerksam, könnten sie indes sehr wohl von Belang sein. Auch wenn der kaufmännische Angestellte, der zum ersten Mal in seinem Leben auf einer Anklagebank sitzt, einen Hang zum Verharmlosen hat. So räumt er sexuelle Kontakte mit Heidi Marks ein. Aber er sagt: "Als ich meinen Führerschein bekommen habe, hat sie mich zum letzten Mal rumgekriegt."

Flucht in die USA

Die Lehrerin konnte sich als Kind niemandem in dem 192-Seelen-Dorf anvertrauen. "Ich habe gedacht, die jagen meine Familie davon", sagt sie als Zeugin. Sie floh in die USA und kehrte erst im vergangenen Frühjahr für ein Klassentreffen nach Unterfranken zurück. Im Gespräch mit einer Freundin kam heraus, dass auch sie missbraucht worden ist. Gerüchteweise war von bis zu acht Opfern in dem Ort bei Knetzgau die Rede. Die Täter waren wohl dieselben wie im Fall von Heidi Marks. Nach 35 Jahren Schweigen fasste sie Mut und erstattete Anzeige. Ein 52-jähriger Beschuldigter nahm sich daraufhin das Leben.

Alfred G. kam nach einem Suizidversuch im Mai in Untersuchungshaft. Die Mauer des Schweigens in Eschenau fiel in sich zusammen. "Nach der ersten Anzeige durch Frau Marks, da haben sich alle mal getraut, was zu sagen", berichtet Kripo-Beamtin Claudia Rudolf. Mit der Familie von Alfred G. befreundete Eltern fragten ihre Kinder, ob sie der Onkel Alfred G. angefasst habe. Da endlich kamen einige Eltern hinter den Grund, warum ihr Kind in letzter Zeit so verschlossen gewirkt hatte.

"Eine ganz harmlose Geschichte"

Vier Fälle des sexuellen Missbrauchs an drei Mädchen im Alter zwischen sieben und neun Jahren hat die Staatsanwaltschaft schließlich angeklagt. Zwei räumt Alfred G. am Mittwoch unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein. Ja, er habe die heute 36 Jahre alte Beate im Jahr 1978 im Wald und in einer Gartenhütte befummelt. Ja, er habe 2005 beim DVD-Schauen im eigenen Wohnzimmer in die Hose eines heute 13-jährigen Mädchens gegriffen. Aber nein, das Mädchen auf seinem Schoß bei einem Grillfest vor 13 Jahren - das sei "eine ganz harmlose Geschichte" gewesen, widerspricht G. der Anklage. "Ich wollte sie nur warmrubbeln, weil es so kalt war."

Sonja S. erinnert sich anders. "Ich saß auf seinem Schoß, die Decke lag über meinen Beinen. Er streichelte mich an den Beinen und im Intimbereich. Das war keine zufällige Berührung." Dass seine Ehefrau neben ihm saß, schien den Mann nicht zu stören. Den Vorfall hatte die heute 20-Jährige verdrängt. Erst als im Mai die ersten Vorwürfe laut wurden, tauchte sie aus "dem schwarzen Loch", in das sie danach gefallen sei, wieder auf.

Mitleid mit der Ehefrau

In Eschenau war das Treiben von Alfred G. durchaus einigen bekannt. So den Eltern von Beate. Sie erfuhren zwei Jahre später den Grund dafür, warum ihr Kind in der Schule versagte, immer dicker wurde und auch wieder ins Bett machte. Sie suchten das Gespräch mit der Ehefrau von G., die sich im Ort immer stark für Kinder engagierte. Auf die Vorwürfe versprach sie Anfang der 80er Jahre, sie werde ihren Mann zur Therapie schicken. Daraufhin verzichtete die Familie des Opfers auf eine Anzeige. Die Frau des Täters hatte gejammert: "Oder wollen Sie meine Familie zerstören?"

Eine Therapie hat Alfred G. offenbar nie besucht. Auch der psychiatrische Gutachter, den das Gericht am Mittwochnachmittag hört, wurde aus dem Mann nicht recht schlau. "Es ist keine psychiatrische Diagnose zu erheben, er ist auch kein Pädophiler." Auffällig sei nur seine Faszination für das weibliche Geschlechtsteil. "Da wollte er hinkommen, koste es, was es wolle", sagt Gutachter Wolfgang Göbel. Einen Test über sexuelle Verhaltensweisen habe Alfred G. mit der Begründung abgelehnt: "Ich bin doch kein Sex-Monster!" (ddp)  

Jörg Völkerling

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