Panorama: Im Hyde Park, morgens um sieben
Bankerinnen, Steuerberater und Architekten lassen sich von Soldaten durch den Schlamm jagen
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Sieben Uhr früh im Hyde Park. In der Morgendämmerung hetzen merkwürdige Trupps über die taufrischen Wiesen im Zentrum von London. Angeführt von drahtigen Herren in Tarnkleidung, geben 30 Büromenschen alles. „Nummer vier! Nicht spazieren gehen, rennen!“, brüllt es aus einem Tarnanzug. Die Läufer tragen farbige Leibchen mit weißen Nummern auf Rücken und Brust. Blau sind die Anfänger, grün die Fortgeschrittenen, rot die Superathleten. Was hier geschieht, nennt sich „British Military Fitness“, kurz: Britmilfit. Banker aus der City, Architekten, Steuerberater – die Workaholics der Hauptstadt lassen sich von ehemaligen Soldaten schinden, um fit zu werden für den Zwölfstundentag.
Ein Fitnesstrend, der um sich greift: Britmilfit-Gründer Robin Cope, ein gestandener Major, begann 1999 einen Kurs mit zwei mutigen Teilnehmern. Heute lassen sich rund 5000 Mitglieder in ganz Großbritannien für monatlich ab 45 Euro einmal die Woche militärisch drillen, 3000 davon allein in London. 170 Mitarbeiter hat Britmilfit insgesamt. Alle waren früher bei der Armee.
Barney – hier nennen sich eher unmilitärisch alle beim Vornamen – führt einen der drei Zehnertrupps, die Anfänger. Der 31-Jährige hat als Lance Sergeant, eine Art Unteroffizier, bei der britischen Artillerie gedient. Wie zum Hohn für seine Untergebenen trägt Sergeant Barney beim Rennen auch noch einen Rucksack auf dem Rücken. Darin hat er Wasserflaschen gebunkert. Durst werden seine Männer und Frauen im Einsatz nicht leiden müssen.
Aber jetzt wird erst einmal gearbeitet. Instruktion im Halbkreis. „Berührt fünf Bäume, dort jeweils drei Liegestütze.“ Die Leibchen schwärmen aus und suchen sich ihre Bäumchen. Fünfzehn Liegestütze tun hier noch niemandem weh. Nächste Übung, diesmal mit Partner. Einer macht Kniebeugen und befiehlt dem anderen, mit welchem Körperteil er den schlammigen Boden berühren soll. Auf, nieder, auf, nieder, drei Minuten lang. „Ich will möglichst oft die Worte Nase und Stirn hören“, ruft Barney. Der Mensch wird eins mit Mutter Erde. Hoffentlich waren heute noch keine Hundefreunde hier.
An diesem Morgen laufen Barneys Soldaten noch viele Bäume, Laternen und Parkbänke im Hyde Park ab. Die Frauen der Truppe rennen dabei meist vorneweg. Immer wieder streut der Drill Instructor Partnerübungen ein. Das stärkt den Corpsgeist in Barneys Armee. Die Soldaten kontrollieren sich gegenseitig. Königsdisziplin ist ein Zirkeltraining mit unzähligen Liegestützen, Sit-ups und allem, was professionellen Schleifern wie dem früheren Bayern-Trainer Felix Magath auch so einfallen würde. „Nicht schwatzen, sonst gibt es eine Extraschicht“, ruft Barney und schickt später tatsächlich einige auf eine zusätzliche Schleife. Und wieder Partnerübungen. Ist denn nicht bald gut? Jetzt nicht schlappmachen. „Wenn du aussetzt, bestraft er uns alle“, zischt der Leidensgenosse nebenan. Full Metal Jacket im Hyde Park. Wer gestern Abend im Pub noch Fish and Chips und einige Pints Bitter genossen hat, der isst beim nächsten Mal lieber nur Rohkost.
Es ist ein gutes Gefühl, eine Nummer zu sein, in den Übungen aufzugehen und nicht weiter denken zu müssen. Du willst nicht die Freiheit der Wahl, du willst von der Wahl befreit werden. „Man muss nur herkommen“, sagt Claire, 31, von Beruf Steuerberaterin. „Das ist das Einzige, wozu man sich aufraffen muss. Alles andere wird einem abgenommen.“ Im Fitnessstudio schaue sie meist nach einer halben Stunde schon auf die Uhr. „Jetzt habe ich eigentlich genug getan, sage ich mir dann. Hier im Hyde Park musst du durchhalten.“
Kurz nach acht, die Sonne scheint, der Drill ist vorbei. Alle stellen sich noch einmal auf und Barney zeigt auf einmal, dass er richtig lieb sein kann. „Jetzt ganz sanft dehnen“, sagt der Sergeant und teilt Wasser aus. „Ihr wart gut.“ Alle sind einigermaßen heil durchgekommen. Die Schmerzen werden irgendwann nachlassen. „Jetzt noch duschen“, sagt Claire, „und dann geht es ab zur Arbeit.“
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