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Panorama: Im Kampf gegen Sars greift China durch

Mit großen Aktionen geht die Regierung gegen die Krankheit vor – aber Journalisten, die über neue Infektionen berichten, werden von der Polizei verhört

An den Bahnhöfen stehen Wanderarbeiter Schlange. Flugzeuge sind ausgebucht. Eine Woche vor dem chinesischen Neujahr ist in der Volksrepublik das Reisefieber ausgebrochen. Trotz der neuen Sars-Fälle werden hunderte Millionen Chinesen über die Feiertage verreisen – die Gefahr für einen neuen Ausbruch der rätselhaften Krankheit steigt.

Ende kommender Woche beginnt dem chinesischen Mondkalender zufolge das Jahr des Affen. Für das wichtigste Familienfest des Jahres werden Millionen Chinesen mit Zügen, Bussen und in Flugzeugen in ihre Heimatprovinzen reisen. Wie jedes Jahr drängen sich die Menschen in die Züge – die chinesische Eisenbahn rechnet während der einwöchigen Urlaubszeit mit 130 Millionen Fahrgästen. Mehr als 1,5 Milliarden Busfahrten und neun Millionen Flugreisen werden erwartet. Die jährliche Völkerwanderung kommt zu einer denkbar ungünstigen Zeit. Vergangene Woche tauchte in der Südprovinz Guangdong erstmals seit dem Sommer wieder ein Fall des Schweren Akuten Atemwegssyndroms (Sars) auf. Drei weitere Verdachtsfälle haben die Behörden mittlerweile bekannt gegeben. Zwar ist der erste Sars-Patient, ein 32-jähriger Mann, wieder gesundet und aus dem Krankenhaus entlassen. Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sehen bisher auch keinen Anlass, Alarm zu schlagen. Sollte es jedoch noch weitere, bisher unentdeckte Sars-Fälle in Südchina geben, könnte sich das Virus durch die Feiertagsreisen jedoch erneut im ganzen Land ausbreiten.

Noch bestehe durch die Neujahrsreisen „keine signifikante Gefahr" für die allgemeine Gesundheit, sagt WHO-Sprecher Bob Dietz in Peking. Man beobachte jedoch die Lage. Chinas Behörden bereiten landesweite Gesundheitskontrollen vor. Einem „dringenden Erlass" des Eisenbahnministeriums zufolge werden derzeit Bahnhöfe gereinigt und die Luftzirkulation verbessert. Wie im vergangenen Sommer, als vor jedem Dorf eine Straßensperre stand, müssen Reisende sich die Temperatur messen lassen.

Passagiere mit einer Köpertemperatur über 38 Grad werden in Krankenhäusern unter Beobachtung gestellt, heißt es in dem Eisenbahn-Erlass. Ähnlich strikte Kontrollen sollen auf den Flughäfen stattfinden.

Peking will kein Risiko eingehen

Pekings Regierung will kein Risiko eingehen. Eine epidemischer Ausbruch wie im vergangenen Sommer, als weltweit 8000 Menschen an Sars erkrankten und mehr als 700 starben, soll verhindert werden. Familienangehörige und alle Personen, die mit den drei Verdachtsfällen in Berührung waren, stehen unter Quarantäne.

In einer großen Aktion werden in Südchina seit vergangener Woche Tausende Schleichkatzen und andere als Wildtiere getötet. Zwar gibt es bisher keine Beweise, dass das Virus von einem dieser Tiere auf den Menschen übergesprungen ist. Aus Angst, wieder in die internationale Kritik zu geraten, greift Peking jedoch durch. Wie einst unter Mao Zedong rief die Südprovinz Guangdong die Kampagne der „vier Gefahren" aus – Fliegen, Küchenschaben, Ratten und Moskitos soll zu Leibe gerückt werden. In Guangzhou (Kanton) mussten Restaurantbesitzer Wildratten vom Speiseplan nehmen – sie gelten wie andere Wildtiere als Delikatesse.

Pekings Führung, die im vergangenen Jahr den Ausbruch der Krankheit noch vertuschte und Sars-Patienten vor der WHO in Ambulanzfahrzeugen versteckte, scheint die Lektion gelernt zu haben. WHO-Vertreter loben die „gute Zusammenarbeit" mit Ärzten und Behörden. „Es gibt keine Versuche, etwas zu vertuschen", sagt WHO-Sprecher Dietz. Trotzdem ist es für die internationalen Experten schwer, das Ausmaß der Erkrankungen einzuschätzen. Da es bisher keinen eindeutigen medizinischen Test für Sars gibt, bleibt die Diagnose im Ermessen der chinesischen Ärzte. Nachdem Peking am Wochenende noch einen dritten Sars-Verdachtsfall dementiert hatte, mussten die Behörden diesen am Montag bestätigen.

Auch wenn Pekings politische Führung sich transparent gibt, scheinen sich die Behörden mit der neuen Offenheit bei Sars schwer zu tun. Journalisten der kritischen Wochenzeitung „Nanfang Zhoumo", die vergangene Woche den ersten neuen Sars-Fall aufgedeckt hatten, wurden Berichten zufolge mehrere Stunden von der Polizei verhört.

Harald Maass[Peking]

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