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Panorama: Lachpillen sind kein Witz

In den USA wurde ein Medikament gegen Gekicher entwickelt

Mit Lachen und Giggeln einfach nicht mehr aufhören zu können, diese Situation haben viele Menschen zuletzt im Teenager-Alter erlebt. Das Gekicher wird oft durch etwas Banales ausgelöst, man steckt sich gegenseitig an und schaukelt sich hoch. Mit puterrotem Gesicht wird das Lachen zu unterdrücken versucht, was meist nicht gelingt, selbst wenn der Lehrer drohende Blicke wirft.

Problematischer könnte es sein, wenn sich solche emotionalen Ausnahmesituationen häufen, wenn sie sich nicht nur als unbeherrschtes Lachen äußern, sondern auch als lang andauernde Weinkrämpfe auftreten. Hinter diesen Gefühlsausbrüchen sehen Psychiater nämlich keine realen Emotionen. Wer unter diesen Symptomen zu leiden glaubt, kann jetzt Mut fassen. Denn die amerikanische Pharmafirma Avanir hat ein Mittel entwickelt, um das so genannte „Pseudobulbar-Syndrom“ zu behandeln.

Das bisher mit Verlusten kämpfende Unternehmen aus dem kalifornischen San Diego möchte noch in diesem Jahr das Medikament „Neurodex“ auf den Markt bringen und hofft auf einen Verkaufsschlager. Doch gibt es überhaupt eine nennenswerte Zahl von Personen, die sich mit dem „Pseudobulbar-Syndrom“ herumschlägt? Auf ihrer Webseite www.pseudobulbar.com spricht die Firma von einer Million Betroffener. Sie sollen sich aus Patienten rekrutieren, die an Nervenkrankheiten wie der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) – an ihr erkrankte der Maler Jörg Immendorff – oder Multipler Sklerose leiden. Auch Alzheimer-Patienten werden als mögliche Betroffene ins Visier genommen. Zwar ist die Ursache für die unkontrollierbaren Ausbrüche noch unklar. Doch Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang mit einer gestörten Kommunikation zwischen dem Hirnstamm, in dem Lachen und Weinen entstehen, und den Regionen des Gehirns, die die emotionale Ausdrucksweise kontrollieren. Kritiker bezweifeln jedoch, ob die an schweren Nervenkrankheiten oder Demenz Leidenden wirklich in nennenswerter Zahl von unkontrollierten Gefühlsausbrüchen geplagt sind. „In den zwölf Jahren, in denen ich mit Hunderten von Multiple Sklerose-Patienten konfrontiert war, habe ich das nur einmal bei einer älteren Dame erlebt“, sagt Ilona Nippert, Geschäftsführerin des Berliner Landesverbandes der Multiplen Sklerose Gesellschaft. Und auch in diesem Fall sei eine medikamentöse Behandlung nicht notwendig erschienen. Ähnlich äußert sich Vincent Meininger, Leiter des französischen ALS-Zentrums. „Diese Patienten brauchen nicht behandelt zu werden, sie fragen nicht einmal nach einem Medikament“, wird der Neurologe in der „New York Times“ zitiert.

So liegt die Vermutung nicht fern, dass hier ein Medikament auf den Markt gebracht werden soll, zu dem erst noch eine entsprechende Krankheit gefunden werden muss. Allerdings gibt es auch Experten, die das Präparat für sinnvoll halten. „Einige meiner Patienten litten an den unkontrollierbaren Krämpfen und fingen plötzlich während eines Begräbnisses oder im Gottesdienst an zu lachen“, sagte Hillel Panitch von der Universität von Vermont kürzlich auf dem Treffen der Amerikanischen Akademie für Neurologie. Das Verhalten sei sozial ausgrenzend, so dass die Betroffenen das Leiden zu verbergen suchten. Damit erkläre sich, warum so wenig Fälle des „Pseudobulbar-Syndroms“ bekannt seien.

Paul Janositz

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