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Eine Frau protestiert am Al-Quds-Tag gegen Israel und US-Politik im Mittleren Osten

© dpa, Rahat Dar

Leserartikel zum Al-Quds-Tag: Schiras: Die zwei Gesichter einer iranischen Stadt

Am Al-Quds-Tag befand sich unser Leser in Schiras und berichtet hier von seinen persönlichen Eindrücken. Ein Reisebericht von

Schiras im Iran. Eine Großstadt, die nach dem Fall der internationalen Sanktionen gegen den Iran aufatmet. Regale füllen sich, Touristen beleben die Märkte, lange als Einnahmequelle vermisst. Schon im Hotel ist die Lockerung der strengen Vorschriften des Mullah-Regimes sichtbar. Eine der Empfangsdamen trägt kein Kopftuch, vor 4 bis 5 Jahren noch undenkbar.

Nach dem Check-in suche und finde ich den Vertreter der Staatsmacht, den immer gegenwärtigen sogenannten „Sittenwächter“. Diese Bezeichnung wirkt fast harmlos. Im Iran kann ein Bericht dieses Mannes tödlich sein, für Ausländer in ein Gefängnis führen. Die persönliche Begrüßung erzeugt die gewollte Verblüffung. Der Zweck des Besuches, das Weltkulturerbe Persepolis, leuchtet ein und bedarf keiner weiteren Klärung. Der Vertreter und Spitzel des Staates kehrt zurück zu der Zeitung, die einen ganzen Dienst halten muss. Diese Front ist geklärt.

Nun aber an den Ernst der Sache: Der Iran ist einer der zwiespältigen Staaten, die ich jemals erlebt habe, seit 3 Jahren bemüht um Reformen. Touristen sind wieder willkommen, sie bestaunen das umfangreiche Weltkulturerbe. Besonders Deutsche werden umhegt und gepflegt wie in wenigen Ecken dieser Erde, selbst Alkoholgenuss ist im Hotel wieder geduldet.

Nur wenige hundert Meter von den Touristenattraktionen ein Bild, das dem Besucher möglichst verborgen bleiben soll. Menschen sterben wegen ihrer Homosexualität, ebenso Ehebrecherinnen (nur die Frauen). Die Liste möglicher Vergehen und der Strafkatalog sind umfangreich. Willkür ist an der Tagesordnung, Angst das Mittel staatlicher Überwachung und Unterdrückung der Bevölkerung. Staatlich inszenierter Mord, der Iran gefangen in einer anderen Zeit, einer Art religiösem Mittelalter.

Auf der anderen Seite wiederum: Viele im Westen wissen es nicht, aber es gibt jüdische Gemeinden im Iran. Die iranische Verfassung kennt die Religionsfreiheit, garantiert diese bis hinein in die Teilhabe im Parlament. Für einen muslimisch geprägten Staat eine erstaunliche Toleranz und kaum zu glauben im Angesicht Tausender, die ganz offen die Vernichtung Israels und die Ermordung seiner Bürger fordern.

Jeder Ausländer ist abseits der Touristenpfade ein potentieller Spion und Staatsfeind

Heute ist Al-Quds-Tag, der Tag des Hasses, im Iran ein Feiertag. Zum Frühstück gab es eine diplomatisch verpackte Aufforderung, den Tag im Hotel zu verbringen oder eine kostenlose Tagesfahrt in die reizvolle Umgebung zu buchen. Ich persönlich schlage beide Varianten aus. Im Vertrauen auf meinen deutschen Pass ziehe ich los, will versuchen Eindrücke auch im Bild festzuhalten. Dies allerdings verdeckt.

Jeder Ausländer ist abseits der Touristenpfade ein potentieller Spion und Staatsfeind, jeder als Israeli erkennbare Mensch wäre hier offen in Lebensgefahr. Das ist die Folge der Paranoia, die sowohl Verfolger als auch Verfolgte in Diktaturen entwickeln. Der Staat fürchtet Dissidenten, den Aufstand; das Volk ängstigt sich vor den Spitzeln des Regimes.

Über die Hauptstraße ziehen Menschenmassen, skandieren Parolen, verbrennen Fahnen. Dieser Zug endet nicht nach 10, nicht nach 30 Minuten. Erinnerungen an Aufnahmen vom heutigen Bebelplatz und der Bücherverbrennung werden wach, und auch Assoziationen zu noch dunkleren Kapiteln der deutschen Geschichte drängen sich auf. Bilder aus alter Zeit sind das eine, den Hass der Massen fast körperlich zu spüren etwas anderes. Nach etwa 3 Stunden kehre ich zurück ins Hotel, in die „heile Welt“ des Iran.

Morgen ist wieder Alltag in Schiras. Die Menschen werden sich dem lange vermissten Konsum widmen, der Arbeit und Besorgungen nachgehen. Waren, Technik, das 21.Jahrhundert nehmen erneut Ihre Plätze ein. Anstelle der Propaganda ist es wieder eine der Haupteinnahmequellen, die das Leben der Menschen bestimmt: Der Tourismus. Bis zum nächsten staatlich angeordneten Tag des Hasses. Morgen ist Schiras wieder „eine andere Stadt“.

A.v.Lepsius

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