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Die Kirchturm des «Sauerländer Doms» in Attendorn, Sauerland, NRW. (Symbolbild)

© Foto: dpa/Franz-Peter Tschauner

Update

Von Mutter und Großeltern versteckt: Polizei befreit Achtjährige aus Gefangenschaft

Fast ihr ganzes Leben lang wurde sie in einem Haus in Attendorn im Sauerland gefangen gehalten. Der Hinweis eines Verwandten brachte offenbar die Rettung des Mädchens in Gang.

Stand:

In Attendorn im Sauerland soll ein acht Jahre altes Mädchen fast sein ganzes Leben lang von der Mutter und den Großeltern versteckt gehalten worden sein.

Nach der Befreiung Ende September habe das Mädchen gesagt, dass es noch nie einen Wald gesehen habe, noch nie auf einer Wiese gewesen oder in einem Auto gefahren sei, berichtete der „Sauerlandkurier“ am Wochenende unter Berufung auf Unterlagen der Kinderklinik in Siegen.

Das mittlerweile in einer Pflegefamilie untergebrachte Mädchen sagte demnach bei seiner Untersuchung, bisher habe sie vor allem in einem Zimmer bei verschlossener Tür gelebt. Mittlerweile sei das von Polizei und Jugendamt befreite Kind in einer Notpflegefamilie untergebracht.

Sauerlandkurier.de zitierte den Siegener Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss mit den Worten, dass das Mädchen das Haus nicht verlassen durfte, seitdem sie mindestens eineinhalb Jahre alt gewesen ist.

Viel von der Außenwelt kann das Kind daher bewusst nicht wahrgenommen haben.

Patrick Baron von Grotthuss, Siegener Oberstaatsanwalt

Wie der Oberstaatsanwalt berichtet, gehe man davon aus, dass die Mutter und die Großeltern dem Mädchen nicht ermöglicht hätten, „am Leben teilzunehmen“ - nicht am Kindergarten, nicht an der Schule und nicht am Spiel mit anderen Kindern.

Erkenntnisse auf Misshandlungen oder einer Unterernährung lägen nicht vor, das Mädchen könne sich artikulieren und laufen, wenngleich sie „kaum in der Lage sei, allein Treppen zu steigen oder Unebenheiten im Boden zu überwinden“.

Antrag auf gerichtlichen Ergänzungspfleger gestellt

Bereits gestellt sei ein Antrag, für das Kind einen sogenannten gerichtlichen Ergänzungspfleger beizuordnen. „Die Eltern können ja nicht mehr für das Kind entscheiden, zumindest die Mutter jetzt nicht“, erklärte er. Dafür müsse ein Familiengericht jemanden bestimmen, um die Interessen des Mädchens wahrzunehmen.

Der nächste Schritt wäre dann eine Begutachtung des Kinds, sagte Baron von Grotthuss. Mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ wolle man zudem die Mutter begutachten lassen - und gegebenenfalls alle Beschuldigten

Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Freiheitsberaubung

Die Mutter und die Großeltern, in deren Haus die Familie gelebt haben soll, machten dem Bericht zufolge bislang keine Angaben. Gegen sie wird wegen Freiheitsberaubung ermittelt.

Dem schon vor der Geburt getrennt von ihr lebenden Vater soll die Mutter mitgeteilt haben, mit der Tochter nach Italien ziehen zu wollen.

Zweifel daran gab es in den vergangenen Jahren dem Bericht zufolge immer wieder. Im September 2015 habe der Vater gegenüber dem Jugendamt angegeben, die Mutter mehrfach in Attendorn gesehen zu haben - die Großeltern hätten auf Nachfrage aber angegeben, dass die Tochter mit der Enkelin in Italien lebe.

Jugendamt und Polizei von Großeltern abgewimmelt

Dem Bericht zufolge wurde das zuständige Jugendamt des Kreises Olpe wiederholt von den Großeltern abgewimmelt, diese hätten auch den Zugang ins Haus verweigert.

Auch die Polizei sei von den Großeltern nicht ins Haus gelassen worden, diese habe aber auch keinen Durchschungsbeschluss vorlegen können.

Am Ende habe ein Verwandter der mütterlichen Familienseite nach einem Besuch in Italien den entscheidenden Hinweis gegeben, dass die Mutter und das Kind nie in Italien gelebt haben.

Zugang erfolgte auf „richterlichen Beschluss“

Auf Anfrage des Jugendamtes hätten schließlich auch die italienischen Behörden bestätigt, dass Mutter und Kind nicht vor Ort seien - und wohl auch nie dort gewesen seien.

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Daher sei das Jugendamt mit der Polizei im September an dem Haus vorstellig geworden. „Man musste mit richterlichem Beschluss rein“, erklärte Oberstaatsanwalt Baron von Grotthuss. Beamte hätten erzählt, dass ihnen das Kind - es sei nun fast schon neun Jahre alt - dann auf der Treppe entgegen gekommen sei.

Hintergründe weiterhin unklar

Die Hintergründe sind noch völlig unklar. Mutter und Großeltern machen nach Angaben der Ermittler von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch. Daher tappe man noch im Dunkeln, „was da möglicherweise in den Köpfen der Menschen vorgegangen ist“, wie Baron von Grotthuss sagte. 

Man denkt ja, die Sozialkontrolle funktioniert da noch.

Patrick Baron von Grotthuss, Siegener Oberstaatsanwalt

Attendorn liege auf dem Land. „Man denkt ja, die Sozialkontrolle funktioniert da noch“, sagte er. Aber selbst die Nachbarn hätten nicht gewusst, dass Mutter und Kind im Haus gewesen seien.

Der stellvertretende Bürgermeister von Attendorn, Uli Selter, sagte dem WDR, „es ist noch viel zu früh, jetzt ein Urteil abzugeben. Die Hintergründe sind uns allen noch unbekannt. Aber emotional in der eigenen Stadt so etwas wahrzunehmen, das macht betroffen.“ (AFP, dpa)

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