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Hochzeit mit Kate: Prinz William sucht die Normalität
Er macht Tee und räumt die Geschirrspülmaschine ein, sagen seine Kollegen: Er ist wie alle. Prinz William schätzt die Normalität. Doch in seinem Leben ist dafür immer weniger Platz
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Weit muss er sich zu der kleinen Frau herunter beugen, die mit rotem Hut und Mantel vor ihm steht. Ein Kuss auf ihre Wange, ein Scherz: „Hallo, ich hatte schon Angst, dein Hut würde weggeblasen.“ Es ist ein windiger Tag in Anglesey, Nordwales. Mit einem Privatflugzeug ist die Königin von England zum Stützpunkt Valley der Royal Air Force geflogen, um ihrem Enkelsohn bei der Arbeit zuzusehen. Dem Prinzen, der Helikopterpilot ist, und der Rettungseinsätze fliegt für die Küstenwache der Grafschaft Anglesey – in einem gelben Hubschrauber.
Die Königliche Hoheit William Arthur Philip Louis heißt auf dem Stützpunkt, unter den Kameraden Will Wales, so steht es auch auf seinem Namensschild. Und als er an diesem Tag vor seine Großmutter tritt, Queen Elizabeth II., trägt der 28-Jährige einen olivfarbenen Overall wie alle im Team, und er will nichts anderes sein als einer von ihnen.
Der Besuch der britischen Königin Anfang April soll auch beweisen, dass Flight Lieutenant Wales ein ganz normaler RAF-Pilot ist, der für ein Jahresgehalt von 37 710 Pfund 24-Stunden Schichtdienst macht – auch wenn er später mal König wird. Und auch wenn er am Freitag vor den Augen der Welt Kate Middleton heiratet, die Frau, die einmal Königin sein wird.
„Er macht Tee. Er räumt die Geschirrspülmaschine ein. Er ist wie alle anderen auch“, versichert Flugleutnant „Sticky“ Bunn. „Aber manchmal sehen wir ihn auch in den Nachrichten. Manchmal ist er dabei, und wir sehen, wie er sich in den Nachrichten sieht.“ Die Normalität, um die sich William zeitlebens bemüht, wird er nie erreichen können.
Höflich führt er seine Großmutter um die Hubschrauber, zeigt ihr den Flugsimulator. Die Queen hat Kfz-Mechanikerin gelernt und kennt sich aus. Wenn wieder mal eine Böe in die Flughalle weht, hält sie den Hut fest.
Stramm steht Will Wales zum Abschied. Er neigt den Kopf, ballt die Fäuste an den gestreckten Armen, eng am Körper. Plötzlich sieht der junge Mann verkrampft und ein bisschen unglücklich aus, wie er das Kinn fast bis auf die Brust presst. Diese Verneigung gilt nicht mehr nur der Großmutter, sondern der Queen, nicht der Person, sondern dem Amt. Und sie markiert jene unsichtbare Grenze, die sogar für die Nächsten und Liebsten um einen Monarchen gezogen ist.
Für einen kurzen Moment wird in Williams geballten Fäusten die ganze Disziplin sichtbar, die einer braucht, der sein Leben lang viele Rollen spielen muss, der, so sehr er die Normalität auch schätzen mag, doch auf den Moment hinlebt, in dem er das letzte Bisschen Normalsein eintauschen und König werden wird.
Diese eine verkrampfte Ehrbezeugung, zeigt sie vielleicht auch Angst vor diesem Moment? So groß schienen die Furcht und Abneigung Williams vor der Rolle des künftigen Königs, dass der britische Journalist Johann Hari in seinem Buch „God Save the Queen. Die Wahrheit über die Windsors“ noch im Jahr 2002 die These aufstellte, William würde das Königtum verweigern und als „William der Letzte“ den Fall des Hauses Windsor und der britischen Monarchie herbeiführen: „William“, schrieb Hari, „ist Republikaner und hasst die Monarchie.“
William Wales ist jedenfalls der erste britische Thronfolger, der „normal“ aufwachsen sollte, wie ein gewöhnlicher Brite. Das war die Überzeugung seiner Mutter Diana, Prinzessin von Wales, Kindergärtnerin von Beruf. Sie setzte durch, dass William mit gleichaltrigen Bürgerlichen in den Kindergarten gehen würde. Am 24. September 1985 trat William mit einer kleinen Plastikflasche Orangensaft aus dem Schutz des Kensington Palace durch die Tür von Mrs. Jane Mysors Nursery School in Notting Hill hinein ins normale Leben. Winkend und lächelnd marschierte der Dreijährige an mehr als hundert Fotografen vorbei, die den Schritt für alle Welt dokumentierten. Der Beginn eines Doppellebens: Bürger und Thronfolger.
Vielleicht war Diana auch vom Wunsch getrieben, dass William anders werden sollte als sein Vater. „Ist er Ihnen ähnlich, Sir?“, riefen die Fotografen, als Prinz Charles seinen Erstgeborenen im Juni 1982 aus dem St. Mary’s Hospital trug: „Nein, er hat Glück und sieht ganz anders aus“, rief Charles zurück. Und so war es. Charles wurde wegen seiner Henkelohren zum Gespött und dankbaren Motiv für Karikaturisten, William wurde das schnittige Jungmodell, blond und blauäugig, die Wunderwaffe des Hauses Windsor, ganz die Mutter, ein entspannter, sensibler Volksliebling, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht.
Galt Charles als grüblerischer Einzelgänger, war William der beliebte Teamleader auf dem Rugby-Platz. Wo Charles zu seinem 18. Geburtstag einer handvoll abkommandierter Spielgefährten Kaffee und Kuchen servierte, ging William mit seiner Clique in die Disco. Charles zog als junger Mann mit dem Philosophen Laurens van der Post durch die Wiesen, William lernte Kochen in Eton, flirtete mit Britney Spears und sah sich die Castingshow X-Faktor im Fernsehen an.
Charles lässt sich vom Butler die Zahnpasta auf die Bürste drücken und wird auch von seinen Freunden Sir genannt. William soll als Student die Hemden selbst gebügelt haben und heißt bei allen nur „Wills“. In seinem gemeinsamen Verlobungsinterview mit Kate Middleton sagte er: „Wir freuen uns darauf, den Rest unseres Lebens gemeinsam zu verbringen.“ Der Verlobte Charles hatte damals, gefragt nach seiner Verliebtheit in Diana, geantwortet: „Was immer Liebe ist.“
Wie William mit dem Tod seiner Mutter umgeht lesen Sie auf der nächsten Seite
Als William seinen nächsten großen Auftritt hatte, war es ein trauriger Anlass. Er war 15 und musste mit seinem Bruder Harry hinter dem Sarg seiner Mutter durch London ziehen. William ging mit gesenkten Augen und hängenden Schultern. Erst am Abend davor hatte ihn der Großvater überredet, überhaupt mitzugehen. „Wenn ich gehe, kommst du dann mit?“, fragte er ihn. Philip, Herzog von Edinburgh, wusste, dass William es sein Leben lang bereuen würde, wenn er diesen Gang nicht schaffte. Es war auch sein erster Akt von Loyalität und Opfer für die Familie und ihre Stellung.
Bis heute macht William die Presse für den Tod seiner Mutter Diana verantwortlich. Inzwischen weiß er vermutlich, dass Diana die Anwesenheit der Fotografen suchte, mit den Kameras regelrecht flirtete, nicht nur unwissendes Opfer war. Aber kein Prinz hat je die Anwesenheit der Fotografen, die ständige Präsenz der Leibwächter, die Aufmerksamkeit und die Fragen so konsequent und inbrünstig gehasst wie William. Seine Schulen, Eton, die Universität St. Andrews in Schottland, weit entfernt von Londons Presse, der Besuch der Offiziersakademie Sandhurst, die jetzige Arbeit bei der RAF – alles war darauf angelegt, ihn von der Öffentlichkeit abzuschirmen und ihm gerade so das ersehnte normale Leben oder wenigstens eine Illusion davon zu ermöglichen.
Wenn William und sein Bruder Harry in ihren Lieblingsnachtklub Boujis gingen, kamen zuerst die Sicherheitsbeamten, räumten das VIP-Séparée aus. Dann wurde der Klub durchsucht, auch nach Bomben, aber vor allem nach Kameras. Die Pornoheftchen und Cannabis-Joints, die Freund Guy Pelly besorgte, die übermütigen Trinkgelage – alles war dem Traum von einer Normalität geschuldet, die William durch Geburt verwehrt war.
Seine Freunde sind eine auf Treue und Schweigen verschworene Gruppe. Wer plaudert, ist sehr schnell nicht mehr dabei. William, sagt man, baue immer wieder durch gezielte Falschinformationen Fallen, um Verräter zu überführen. Niemand musste diesen Test so gründlich bestehen wie Kate Middleton, die sich das Recht, an seiner Seite zu bleiben, auch durch ihre Verschwiegenheit sicherte. „Die einzigen, die etwas über William sagen, sind Leute, die ihn nicht wirklich kennen. Keiner seiner echten Freunde spricht über ihn“, versichern die Palastsprecher.
Der Traum, ein normaler Bürger zu sein, war für William Wales immer Flucht aus einer Rolle, aber auch Teil seiner Ausbildung. Denn William soll zwar eines Tages über allen stehen, soll aber gleichzeitig seinem Volk glaubhaft vermitteln können, einer von ihnen zu sein. Ab und zu muss also ein Einblick gewährt werden in „Normalität“, als Beweis, dass auch ein künftiger König, wie William selbst es formulierte, „Schritt halten“ kann. Zum Beispiel bei einer Motorradrallye durch Afrika für einen guten Zweck, oder einer Nacht als Obdachloser unter Londoner Bettlern. Es ist das Rollenspiel der Monarchie, an dem die Bürger ebenso teilhaben wie das Königshaus.
Denn die Stabilität der Monarchie liegt auch darin begründet, dass die Identifikationsfigur des Staates kein Fremder ist, sondern einer, der seinen Untertanen auch mal auf Augenhöhe begegnet, der ihre Sorgen zumindest zu kennen scheint. „Der Souverän wächst mit uns auf, wir kennen ihn von klein auf und werden mit ihm älter“, so erklärt es der Königsbiograf Hugo Vickers.
Wenn William Wales nun vor dem Fernseher sitzt, dann sieht er auch sich selbst dabei zu, wie er in eine Rolle hineinwächst. Er könnte ahnen, welches Leben bald auf ihn zukommen wird, denn er sieht einen jungen Mann, dessen Haare auf dem Hinterkopf langsam schütter werden, einen, der freundlich lächelnd, stets Interesse zeigend, seine Auftritte absolviert. Pflichtbewusst, strebsam, angepasst – und etwas langweilig.
Die Hochzeit in der Nationalkirche der Briten ist Teil dieses langen Prozesses, der William einmal als König legitimieren wird. Ab Freitag wird William Wales wieder ein bisschen weniger sich selbst gehören und ein bisschen mehr seinem Volk. Aber bis 2013 noch darf er als Rettungspilot mit Kate Middleton in einem walisischen Landhaus wohnen, auf dem Sofa Pizza essen. Fast ganz normal.
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