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Pro-Choice-Aktivistinnen demonstrieren in Buenos Aires.

© dpa/AP/Natacha Pisarenko

Recht auf Abtreibung: Fall um vergewaltigte Elfjährige bewegt Argentinien

Das Mädchen Lucia wurde durch eine Vergewaltigung schwanger und musste ihr Kind zur Welt bringen. Dabei hätte das argentinische Gesetz einen Abbruch erlaubt.

„Lucia“, ein elfjähriges Mädchen, dessen wahre Identität nicht bekannt ist, geht Ende Januar in eine Dorfklinik in der nordargentinischen Provinz Tucumán. Sie hat extreme Bauchschmerzen. Die Ärzte finden heraus, dass sie in der 19. Woche schwanger ist. Sie verweisen das Mädchen an ein öffentliches Krankenhaus in Banda del Río Salí, außerhalb der Hauptstadt der Provinz.

Obwohl die Familie eine Abtreibung verlangte, musste Lucia das Kind austragen – und wurde mit elf Jahren zur Mutter. Der Fall sorgt derzeit in Argentinien für Empörung und hat Proteste ausgelöst. Lucia hatte erst niemandem erzählt, dass sie vergewaltigt worden war – vom Lebensgefährten ihrer Großmutter, der inzwischen festgenommen wurde. „Ich will, dass ihr herausnehmt, was der alte Mann in mich gesetzt hat“, sagte das Mädchen der Prozessakte zufolge. Lucia aber wurde dazu gezwungen, das Kind auszutragen – obwohl sie nach argentinischem Recht eine Abtreibung hätte vornehmen dürfen.

Nach Artikel 86 des argentinischen Strafgesetzbuches, das seit 1921 gilt, ist eine Abtreibung in zwei Fällen erlaubt: Wenn das Leben der Frau in Gefahr und wenn die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist. Das Strafgesetzbuch kennt dabei keine Maximalzahl von Monaten, bei denen es erlaubt ist, Abtreibungen durchzuführen.

Mädchen sind keine Mütter

Der Fall Lucia erzählt eine besonders dramatische Geschichte von Armut und Gewalt: Vor vier Jahren kam sie in die Obhut ihrer Großmutter, nachdem der Lebensgefährte ihrer Mutter ihre beiden Schwestern missbraucht hatte. Es sollte sich jedoch herausstellen, dass Lucia bei ihrer Großmutter keineswegs in Sicherheit war – der 65-jährige Lebensgefährte ihrer Oma verging sich an ihr.

Der anschließenden Forderung der Familie nach einer Abtreibung kamen die Behörden nicht nach. Sie verzögerten die Genehmigung. Am 26. Februar, einen Monat nachdem sich Lucia mit Bauchschmerzen in einer Klinik meldete, kam ihr Kind per Kaiserschnitt zur Welt. Die Operation selbst wurde von privaten Ärzten vorgenommen – alle Ärzte im Krankenhaus Eva Perón in der Provinz Tucumán verweigerten den Eingriff.

Die Details des Falles haben die argentinische Gesellschaft aufgerüttelt. Zuletzt schickten argentinische Frauen unter dem Hashtag #NinasNoMadres („Mädchen sind keine Mütter“) Fotos von sich als elfjährige Mädchen in die sozialen Netzwerke, um die Unschuld eines Kindes in diesem Alter zu verdeutlichen. Eines der Themen, das die Debatte verkompliziert, ist das Fehlen einer klaren Gesetzgebung.

Gesetzentwurf scheitert an Abtreibungsgegner

Dieser Fall sei „ein weiteres dieser Paradoxe, die Argentinien der Welt zeigt“, sagt Paola Bergallo, die sich als argentinische Anwältin für legale Abtreibung einsetzt. „Im vergangenen Jahr überraschte Argentinien den Planeten positiv, indem es Reife in einer Debatte zeigte und in der beinahe eine progressive Gesetzgebung auf demokratischem Wege beschlossen wurde“, sagte Bergallo. Sie spricht von der Debatte um eine Liberalisierung der Abtreibung in dem südamerikanischen Land.

Im August 2018 wurde ein Gesetzentwurf für die Legalisierung von Abtreibungen von der argentinischen Abgeordnetenkammer zwar genehmigt. Im Senat jedoch wurde er abgelehnt – die Stimmen der Abgeordneten aus den konservativen nördlichen Provinzen gaben den Ausschlag. Die Lager der Abtreibungsbefürworter und der Abtreibungsgegner stehen sich in Argentinien unversöhnlich gegenüber. „Für vernünftige Leute ist diese Koexistenz schwer zu verstehen“, sagt Anwältin Paola Bergallo.

Argentinien war in diesen Jahr aber nicht nur mit dem Fall der elfjährigen Lucia präsent in den Nachrichten – denn es gibt noch eine andere „Lucia“. Im Januar wurde in der nordargentinischen Provinz Jujuy ein Kaiserschnitt an einem 12-jährigen Mädchen durchgeführt – sie war vorher von ihrem 60-jährigen Nachbarn vergewaltigt worden. Ihr Baby überlebte vier Tage.

Viele Ärzte und Behörden sind gegen Abtreibungen – und berufen sich auf eine „Ablehnung aus Gewissensgründen“. Argentinien führt gerade eine Debatte auf Kosten dieser Mädchen, die nach einer Vergewaltigung Mutter werden müssen. So wie bei Lucia. Dem Mädchen selbst „geht es gut, sie ist ruhig und erholt sich“, sagte ihre Mutter in der Nacht der Operation, in der das Baby zu Welt kam. Es befindet sich jedoch in kritischem Zustand – und es ist zweifelhaft, ob es überleben wird.

Maximiliano Monti

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