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Am Tatort in der Oldenburger Innenstadt erinnern Fotos, Blumen und Kerzen an Lorenz, der durch Polizeischüsse tödlich verletzt wurde. Mindestens drei Schüsse trafen den 21-Jährigen in der Nacht zu Ostersonntag von hinten.

© dpa/Sina Schuldt

Update

Tödliche Schüsse in Oldenburg : Anklage gegen Polizisten im Fall des 21-jährigen Lorenz A. erhoben

Der gewaltsame Tod des 21-jährigen Lorenz A. machte viele Menschen traurig und fassungslos. Nun wird der Polizist, der die Schüsse abgab, wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.

Stand:

Nach den tödlichen Schüssen auf den 21-jährigen Lorenz in Oldenburg hat die Staatsanwaltschaft Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegen einen Polizisten erhoben. Dies teilte eine Sprecherin mit. „Ein vorsätzliches Tötungsdelikt kann dem Angeschuldigten nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht vorgeworfen werden, da er irrtümlich glaubte, sich in einer Notwehrlage zu befinden“, hieß es.

Der Beamte soll den Schwarzen in der Nacht zu Ostersonntag bei einem Einsatz in der Oldenburger Fußgängerzone von hinten erschossen haben. Den Ermittlungen zufolge wurde der Deutsche mindestens dreimal getroffen – in Oberkörper, Hüfte und Kopf. Er starb im Krankenhaus. 

Anklage wegen fahrlässiger Tötung

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft ging der Polizist davon aus, er werde mit einem Messer angegriffen. Tatsächlich versprühte Lorenz Reizgas gegen den Beamten, ein mitgeführtes Messer benutzte er aber nicht. Demnach wollte der 21-Jährige fliehen, um nicht festgenommen zu werden. Zum Zeitpunkt der Schussabgabe gab es laut Staatsanwaltschaft daher keine Notwehrlage. 

Der Polizist hätte erkennen können und müssen, dass das Opfer lediglich fliehen wollte, so die Staatsanwaltschaft. Daher werde der Deutsche wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Damit droht dem Polizisten eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens wird das Landgericht Oldenburg entscheiden. 

Dass der Fall vor Gericht aufgearbeitet werden soll, ist für viele eine Erleichterung. Ein Prozess bietet die Chance, dass offene Fragen geklärt werden. „Das ist erst mal ein Schritt in die richtige Richtung“, sagte Suraj Mailitafi von der Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ in einem Video auf Instagram. Aber: Wenn jemand von hinten erschossen wird, könne das nicht fahrlässig sein.

Familie fordert Anklage wegen Todschlags

Auch die Familie des Getöteten fordert eine Anklage wegen Totschlags. Aus Sicht der Anwälte der Eltern von Lorenz liegen die Voraussetzungen der Notwehr nicht vor. Sie verweisen darauf, dass der Beamte schoss, als der 21-Jährige sich abwandte, um zu fliehen.

„Es ist nicht glaubhaft, dass der Beamte in dieser Situation noch irrtümlich davon ausgegangen sein will, er werde mit einem Messer angegriffen“, schreiben die Juristen Lea Voigt, Nils Dietrich und Thomas Feltes. Sie kritisieren die bisherigen Ermittlungen als voreingenommen und unzureichend.

Aus Sicht der Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Ausdruck eines strukturellen Problems mangelnder Verantwortungsübernahme in Fällen tödlicher und rassistischer Polizeigewalt. Der gewaltsame Tod des 21-Jährigen sei kein tragischer Unfall, sondern ein schweres Unrecht. Die Tat betreffe nicht nur die Familie, sondern eine ganze Community, die für Gerechtigkeit und Anerkennung in der Gesellschaft kämpfe. 

Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens äußerte sich dagegen zufrieden. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft zeige, dass der Rechtsstaat funktioniere, sagte die SPD-Politikerin. „Die Ermittlungsbehörden in Niedersachsen arbeiten unabhängig, unvoreingenommen und rechtskonform.“ 

Gesellschaftliche Debatte über Polizeigewalt

Der gewaltsame Tod des jungen Mannes machte viele Menschen traurig und fassungslos – weit über die Grenzen der niedersächsischen Stadt hinaus. Nach den tödlichen Schüssen kam es bundesweit zu Demonstrationen gegen Polizeigewalt.

Bei Demonstrationen, Veranstaltungen und im Internet entstand eine gesellschaftliche Debatte über Polizeigewalt, Rassismus und die Notwendigkeit von Transparenz und Kontrolle bei Polizeieinsätzen. Unter den Hashtags #gerechtigkeitfürlorenz und #justiceforlorenz mehrten sich in sozialen Medien Stimmen gegen Polizeigewalt und Rassismus. 

Änderungen beim Einsatz von Bodycams

In Niedersachsen brachte der Fall neuen Schwung in die Diskussion um den Einsatz von Bodycams. Künftig sollen die kleinen Kameras stärker als bisher helfen, das Einsatzgeschehen transparent zu machen. Die Polizei soll Bodycams künftig einschalten, wenn sie unmittelbaren Zwang anwendet oder androht.

Zudem soll ein automatisiertes System ermöglicht werden, mit dem die Kameras automatisch aktiviert werden, sobald ein Polizist seine Schusswaffe zieht. Die beiden Polizisten, die in der Nacht der tödlichen Schüsse im Einsatz waren, hatten ihre Kameras nicht eingeschaltet. 

Mit der Anklage gegen den 27-jährigen Polizisten geht die Debatte weiter – für kommenden Samstag ist eine Demonstration in Oldenburg geplant. Bei dem anstehenden Prozess geht es für viele nicht nur darum, die tödlichen Polizeischüsse aufzuklären. Es geht auch um das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Arbeit der Polizei. (dpa)

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